Gesammelte Werke
Untersuchungen, wie »Yankee City«, »Elmtown's Youth« und andere. Geplant war, schlechterdings alles gesellschaftlich Relevante über Darmstadt zu ermitteln. Gemäß der spezifischen Interessenrichtung des Office of Labor Affairs und der Akademie der Arbeit war für Arbeiterfragen ein breiter Raum vorgesehen.
Daß dieser Plan im Laufe der fortschreitenden Arbeit sich konkretisierte und in gewissem Sinne einschränkte, ist natürlich. Bei derart weitschichtigen Untersuchungen bedeutet die Konzentration auf ausgewählte Gegenstandsgruppen oder Fragestellungen keineswegs bloß Verzicht, sondern oftmals auch produktive Disziplin: von Brennpunkten fällt zuweilen mehr Licht über das ganze Feld, als wenn all seine Bereiche in gleicher Intensität behandelt würden. Doch hatte die Entwicklung der Darmstädter Studie, die zur gegenwärtigen monographischen Form der Veröffentlichungen führte, darüber hinaus Motive, auf die es sich einzugehen lohnt, weil sie in der Sache selbst und in der Situation der deutschen Sozialforschung liegen. Die Geschichte umfangreicher kollektiver Untersuchungen ist untrennbar von ihrer inneren wissenschaftlichen Entfaltung.
Zunächst sind die Voraussetzungen einer Gemeindestudie in Deutschland – und vermutlich in Europa insgesamt – von denen in den Vereinigten Staaten sehr verschieden. Das Lyndsche Werk entsprang, bei aller Objektivität der Darstellung, in der Selbstkritik der amerikanischen Gesellschaft, welche die zwanziger Jahre kennzeichnet, und für die in Europa Romane vom Typus »Babbit« und »Main Street« von Sinclair Lewis zeugten. In dieser selbstkritischen Literatur spielt die Entdeckung der amerikanischen Provinz ihre entscheidende Rolle, und zwar unter dem Gesichtspunkt jener Uniformität des provinziellen Lebens, die dem Beobachter in der äußerlichen Ähnlichkeit kleinerer Städte miteinander in die Augen springt.
Diese Uniformität beruht auf ökonomischen und technologischen Bedingungen, die in Europa nicht bestehen, so unverkennbar auch die Tendenz dazu sein mag. Von der Analyse einer typischen deutschen Stadt könnte kaum jener Chok des Genormten ausgehen, auf den die amerikanischen Untersuchungen, wie sehr vielleicht auch unbewußt, abzielten. Zudem läßt sich bezweifeln, ob, nach inhaltlich-soziologischen Kriterien und nicht etwa bloß der Einwohnerzahl nach, eine solche typische deutsche Mittelstadt überhaupt zu finden wäre. Darmstadt ist, aus Gründen, die in einigen der Monographien dargelegt werden, gewiß keine solche; die Tradition der Residenz, die unverhältnismäßig große Bedeutung der Beamtenschicht machen Darmstadt nicht weniger atypisch als die Tatsache, daß die Stadt vermutlich zu den am schwersten bombengeschädigten gehörte und zu der Zeit, als das Material gesammelt wurde, noch in Trümmern lag.
Weiter ist Darmstadt, trotz einiger industrieller Großbetriebe, sicherlich nicht charakteristisch für Industriestädte der gleichen Größenordnung. Das bedeutete, daß gerade mit Rücksicht auf die ursprünglich vorgesehenen Arbeiteruntersuchungen die Ziele etwas zurückgesteckt werden mußten. Sie spitzten sich zu auf Gegenstände, die weniger der Soziographie der Darmstädter Arbeiter als solche angehören als der mehr und mehr sich abhebenden Thematik des Gesamtprojekts: dem Verhältnis zwischen Menschen und Institutionen. Es wurde analysiert, wie Arbeiter, Angestellte und Beamte ihren Beruf, ihre Arbeitskollegen, ihre Vorgesetzten, vor allem aber ihre wichtigsten Interessenvertretungen, Betriebsräte und Gewerkschaften, beurteilen. Diese Formulierung der Thematik hat es erlaubt, den vielleicht zentralen Sektor der Arbeitersoziologie im neuesten Deutschland aufzuhellen: die Trennung der materiellen Interessen der ›Arbeitnehmer‹ von politischen Zielen und im Zusammenhang damit die fortschreitende Absorption der Arbeiterschaft durchs Gesamtsystem.
Der nichtindustrielle Charakter Darmstadts stellte vor neue Fragen. Jedem Unbefangenen drängt der ländliche Charakter der am Zugang zur Bergstraße gelegenen Stadt sich auf. Auch wenn nicht die drei amerikanischen Hauptkonsulenten der Studie, Prof. Henry Meyer, Prof. Ashley Weeks und Dr. S. Earl Grigsby, die seit Mitte 1949 die Erhebungen weitgehend bestimmten, agrarsoziologische Interessen geltend gemacht hätten, wäre aus der besonderen Beschaffenheit der Stadt selber die Aufmerksamkeit auf ihre Beziehung zu jenem Hinterland gelenkt worden, mit dem sie so sinnfällig verwachsen ist. Daß
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