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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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dabei dann Strukturfragen der zeitgenössischen Agrarsoziologie wie die Urbanisierungstendenz, Formen des Übergangs zwischen Stadt und Land wie die landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebe, und die Spannungen im Bewußtsein der Landbevölkerung behandelt wurden, erzwang der Gegenstand.
    Nicht nur dieser jedoch erheischte Modifikationen der Studie, sondern ebenso auch die menschlichen und organisatorischen Bedingungen, unter denen sie durchgeführt ward. Sie war von Anbeginn gedacht als ein Versuch produktiver Zusammenarbeit von Amerikanern und Deutschen, und zwar nicht nur personell, sondern ebenso auch methodisch. Während es nun gewiß in der deutschen Soziologie an empirischen Erhebungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gefehlt hat, unter denen sogar einige der ältesten sich mit dem der Darmstädter Studie sehr nahe verwandten Thema der Landflucht befaßten, kann doch in Deutschland kaum eine Tradition der Methoden der empirischen Sozialforschung vorausgesetzt werden, die dem entspräche, was in Amerika in den letzten dreißig Jahren erarbeitet worden ist. Vor allem fehlte es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehr an subjektiv gerichteten Untersuchungen – opinion, attitude und behavior research. Deren Verfahrensweise vervollkommnete sich drüben gerade in den letzten Jahren aufs äußerste. Im Dritten Reich dagegen waren solche Erhebungen wegen ihres demokratischen Potentials von Anbeginn suspekt, so daß seit 1933 in Deutschland überhaupt nichts dergleichen geschah. Es mangelte daher an ausgebildeten Mitarbeitern. Absicht der Studie war es, dem Mangel abzuhelfen, Forschung und Lehre zu verbinden. Ein Stab junger Gelehrter sollte während der Durchführung der Erhebungen sich zugleich die notwendigen Gesichtspunkte und Techniken erwerben. Dieser Stab schloß Ökonomen, Juristen, Sozialfürsorger, Psychologen und Agrarspezialisten ein; in den späteren Phasen wurde er besonders nach der Richtung der Psychologie und der allgemeinen Soziologie ergänzt. Die in Deutschland noch recht neue Idee interdepartementaler Kollaboration wohnte dem Ansatz der Studie selbst inne. Ihre Einheit bestand nicht sowohl in einem einzelwissenschaftlichen Problem, als in einem zwar in sich zusammenhängenden, aber nur durch Verbindung der verschiedensten Disziplinen zu bewältigenden Gegenstand: den mannigfaltigen Aspekten von sozialer Struktur, gesellschaftlichem Prozeß und Sozialpsychologie in einer bestimmten Stadt.
    Daraus nun folgte die Eingrenzung der Arbeit. Weder konnte von Mitarbeitern, die an der Forschung das Forschen zu lernen hatten, das Material in jener Allseitigkeit und zugleich wissenschaftlichen Verbindlichkeit herbeigeschafft werden, die von einer Community Study amerikanischen Stils zu verlangen wäre, noch ließen alle Aspekte im ersten Ansatz einheitlich und gleichmäßig von Mitarbeitern so divergenten Ursprungs sich bewältigen. Es galt also, aus der Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte das Äußerste zu machen, die Studie als innere Einheit zu organisieren, jedoch bewußt auf jenen Charakter der extensiven, gewissermaßen epischen Totalität zu verzichten, der den amerikanischen Gemeindeuntersuchungen eignet. Der Entschluß, die Ergebnisse zunächst in Monographien vorzulegen, mit der Hoffnung, daß diese in einer späteren Phase auch äußerlich sich integrieren lassen – ein Entschluß, der uns allen nicht leicht fiel – ist drastischer Ausdruck dieser Situation.
    Alles kam in der Auswertungsphase darauf an, einen Mittelpunkt zu finden, an den die wichtigsten und fruchtbarsten Materialien, sowohl die der mit der Stadt selber, wie die mit ihrer Beziehung zu den vier Hinterlanddörfern befaßten Erhebungen, sich kristallisieren konnten. Nun gliederte sich der gesammelte Stoff ohne weiteres in zwei Schichten. Die eine umfaßt die Einrichtungen des öffentlichen Lebens im weitesten Sinne, Institutionen, so wie man den Ausdruck »institution« in der amerikanischen Soziologie gebraucht, also Behörden, Gewerkschaften, Schulen, Familientypen, gesellschaftliche Verhältnisse, kurz alle möglichen objektiven Einrichtungen, Tatbestände und Gegebenheiten des Soziallebens, von denen die Menschen abhängen und auf die sie selbst wiederum zurückwirken. Die andere Schicht besteht aus den subjektiven Reaktionsweisen, Meinungen, Verhaltensarten der Menschen, die unter diesen Bedingungen leben. Aus beiden Schichten lag reicher Stoff vor, angefangen von institutionellen und Verfahrensanalysen und ähnlichem,

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