Gesammelte Werke
Erkenntnisse keineswegs bloß Darmstadt betreffen.
Die Psychologie der Nachkriegsjugend weicht, nach Baumerts Ergebnissen zu schließen, wesentlich von dem Bild ab, das die traditionelle Jugendpsychologie entwirft. Auffallend ist die extrem aufs Praktische, dem Interesse der Selbsterhaltung Dienende, Naheliegende gerichtete Verhaltensweise der Zehnjährigen und vielfach auch der Vierzehnjährigen: ein gewisser Vulgärmaterialismus. Baumert interpretiert solche Beobachtungen im Sinne infantiler Fixierungen unter dem lastenden Druck der Verhältnisse. Trotz ihrer Bindung an das heute so gepriesene ›Konkrete‹ zeigt die Nachkriegsjugend sich unsicher und sucht nach Halt, wäre es auch bei neuen autoritären Mächten. Noch fehlen die anthropologischen Bedingungen eines wahrhaft demokratischen Geistes.
Diese Hinweise mögen genügen, den Ernst von Baumerts Buch zu zeigen. Sorgfältig geschrieben, frei von der Hysterie des Geredes von der entwurzelten Jugend und von allem offiziellen Nihilismus, darf die Monographie um so größeres Gewicht beanspruchen. Sie verdient es, weit über den Umkreis der Fachleute hinaus gelesen zu werden.
In dem Buch von Irma
Kuhr
werden die objektiven Gegebenheiten und subjektiven Reaktionsweisen in jedem einzelnen Sektor der Darstellung miteinander konfrontiert. Dadurch tritt das Kernthema des Projekts ungemein konkret und lebendig hervor. Werden etwa die verschiedenen Darmstädter Schultypen in ihren Differenzen erörtert, so schließt sich daran unmittelbar an, wie sich jene Differenzen im Bewußtsein der Schüler widerspiegeln. Auf die Beschreibung der Bombenschäden folgt die Analyse der Stellung der Kinder zu dem durch die Katastrophe geschaffenen Zustand. Die Übersicht über die personellen Gegebenheiten führt zur Analyse des Verhältnisses der Schüler zu den Lehrern, ihrer Beziehungen untereinander und der Grundeinstellung der Darmstädter Jugend zur Schule überhaupt.
Die Resultate basieren jeweils auf der quantitativen, in Tabellen präsentierten Verarbeitung des Materials, der Aufsätze ebenso wie der Fragebogen. Im Rahmen der Zahlen werden dann in dichtester Fühlung mit dem Material, meist gestützt auf Zitate aus den Aufsätzen, qualitative Analysen durchgeführt. Bei aller Nähe zu den objektiven Daten zeugen diese zugleich von der lebendigen Erfahrung der Autorin. Sie leiten zu theoretischen Aussagen und Hypothesen, die weit über das »sample« und über die eine Stadt Darmstadt hinausreichen, ohne in Willkür sich zu verlieren.
Aus der Fülle produktiver Ergebnisse seien nur ganz wenige herausgegriffen. Besonders viel läßt sich über die Soziologie der jugendlichen Anpassung lernen. So zeigen Arbeiterkinder in höheren Schulen weniger Widerstand als andere. Sie kompensieren offenbar ihre soziale Benachteiligung durch besonders eifrige Identifikation mit dem Etablierten. Ähnlich sind Flüchtlingskinder und solche, die ihren Vater verloren haben, geneigt, die Schule kritiklos zu akzeptieren. Was schwach ist und vielleicht am meisten Grund zum Widerstand hätte, ist so gebrochen vom Druck der Verhältnisse, daß es kaum Widerstand aufbringt. Obwohl die gegenwärtige Schule nicht mehr die Schrecken verbreitet, die von ihr nach dem Zeugnis der deutschen Romanliteratur noch um die Jahrhundertwende ausgingen, erhalten autoritäre Gesichtspunkte und Verhaltensweisen sich zäh am Leben, nicht nur bei Erwachsenen, bei Eltern und Lehrern, sondern auch bei den Schülern selbst, insbesondere den ›privilegbewußten‹.
Vieles spricht für geschichtliche Wandlungen im Bewußtsein der Jugend, in der Richtung eines oftmals übermäßig gesteigerten Sinnes fürs Praktische, einer überwertigen ›Realitätsgerechtigkeit‹. Es ist, als wäre die traditionelle Existenzform der umhegten, für Spiel und Traum offenen Kindheit in Auflösung begriffen. Die Kinder befürworten wie kleine Erwachsene die Spezialisierung der Schule, um frühzeitig auf den künftigen Beruf vorbereitet zu sein, und die Zielsetzung der Schule selbst wird von ihnen unter praktischen Gesichtspunkten betrachtet. Begriffe wie der des ›Fachwissens‹ spielen eine große Rolle. Rechnen hat, im Vergleich mit den Ergebnissen einer vor fünfzig Jahren durchgeführten Schulenquête, an Bedeutung zugenommen, ehemals wichtige Fächer, wie Handarbeit und Religion, treten demgegenüber für die Kinder zurück. Die Berufsschüler verlangen Intensivierung und Verbesserung des Berufsschulunterrichts.
Überraschend
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