Gesammelte Werke
lediglich als Manier oder Marotte auffaßt, in Zusammenhang mit der Theorie der Gewalt zu bringen. Die Attitüde des Schadenstiftens schlägt auf den Besitzer selbst zurück, dem irrationale Verhaltensweisen bis zur Selbstbeschädigung sozial auferlegt werden. Es eröffnet damit sich die Perspektive einer ebenso politisch-ökonomischen wie psychoanalytischen ›Urgeschichte‹ der Destruktionstendenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft.
Veblen habe das Verhältnis von Gewalt und Besitz nicht konsequent durchdacht; sie weisen bei ihm unverbunden auseinander. Haselberg möchte die von der Gewalt herstammende Irrationalität bis in scheinbar rationale Verfahrensweisen der modernen Gesellschaft hinein verfolgen. Auch sie sollen von ritualen Elementen, und keineswegs bloß subjektiv psychologisch bedingten, durchsetzt sein. Als ihr Modell wird der Kultus des Lebensstandards behandelt. Die technokratische Zuversicht Veblens, institutionalisierte Vergeudung wäre ohne weiteres durch eine vernünftigere Ökonomie zu ersetzen, wird von Haselberg nicht geteilt. Sein Zweifel stammt aus tiefenpsychologischen Erwägungen, wie sie Freud im »Unbehagen in der Kultur« angestellt hat. Verwandte Intentionen zeichnen sich in der gegenwärtigen amerikanischen cultural anthropology ab.
Weiter behandelt Haselberg das bei Veblen sehr belastete Problem der Funktion der Kunst. Für Veblen wird Ästhetik, analog den Parolen der neuen Sachlichkeit, zu einer Art von Wegweiser aus der von ihm kritisierten ostentativen Gesellschaft. Sein Vorbild fürs Richtige ist das natürlich und zweckmäßig Schöne. Dies dogmatisch unterstellte Prinzip der Schönheit wird jedoch bereits bei der Analyse von Gebrauchsdingen deren immanenten ästhetischen Normen nicht gerecht. Gelegentlich fällt Veblens Begriff natürlicher Schönheit ins archaisierend Romantische zurück. Seine Lehre von der »ökonomischen Schönheit« ist nach Haselberg untauglich in einer Welt, in der anstelle des Werkzeugs Maschine und Apparatur getreten sind. Sie haben als neues Stilisierungsprinzip den technischen Standard ideologisch fixiert.
Die Endabsicht der Haselbergschen Arbeit richtet sich gegen den heute vorherrschenden Begriff des »Funktionierens«. Er spricht ihm die Rationalität ab: in ihm überlebe Aggression. Diese sei in der Technik keineswegs, wie Veblen noch annimmt, durch Gewöhnung an kausales Denken überwunden worden. Technik selber produziere Gewalttätigkeit als notwendige Haltung gegenüber dem Objekt und vollends gegenüber allen dessen Funktionieren störenden Faktoren. Die Idee der Nützlichkeit für die Menschen, das Regulativ von Veblens Angriff auf die Kultur, sei heute nicht mehr, wie noch um 1900, an der Behebung des existierenden Mangels in der Welt zu orientieren. Im Zeitalter der Überproduktion sei vielmehr der Begriff des Nützlichen selbst zur Ideologie geworden.
Die kritische Entfaltung der angedeuteten Gedanken an dem reichen und zugleich problematischen Material, das der bedeutende amerikanische Soziologe bietet, rührt an Denkgewohnheiten, die in einer zunehmend am Begriff des Funktionierens ausgerichteten Soziologie sich eingeschliffen haben. Das allein schon genügte, die Publikation der Haselbergschen Arbeit in einer soziologischen Schriftenreihe zu rechtfertigen.
Sommer 1962
Oskar Negt, Strukturbeziehungen zwischen den Gesellschaftslehren Comtes und Hegels. Frankfurt a.M. 1964. (Frankfurter Beiträge zur Soziologie. 14.)
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Negts Schrift befaßt sich mit dem sachlichen Verhältnis – nicht mit etwaigen genetischen Zusammenhängen – zwischen den der Gesellschaft geltenden Gedanken Hegels und der Comteschen Soziologie als Wissenschaft der Geschichte; ihrer Verwandtschaft wie ihrem Gegensatz. Das Interesse daran erschöpft sich nicht in bloßer Dogmengeschichte. Vielmehr erteilt die Untersuchung Aufschlüsse über die Stellung sozialen Denkens in der Wirklichkeit, an der es sich bildet. Und zwar weit über die Sachgehalte hinaus, deren Identität bei gleichzeitigen Autoren meist sich durchsetzt. Das läßt gerade an Denkern so verschiedenen Wesens und so divergenter Verfahrungsweisen wie Hegel und Comte sich feststellen. Jener war Protestant, dieser Katholik, und bei beiden hat die Religion ihrer Herkunft die Fiber ihres Denkens bestimmt, auch wo es als profan sich verstand. Jener war spekulativer Metaphysiker, dieser hat mit einer monomanischen Pedanterie, welche erst in der Wissenschaftsgesinnung des
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