Gesammelte Werke
Verhältnisse, nicht das erreichen können, was man von ihnen erwartet, sei es, daß man sie, die Erreichbaren, die man unter seinesgleichen zählt, zu Sündenböcken für ein vages, abstraktes und darum vielleicht in der Tiefe besonders qualvolles Unbehagen macht. Immer wieder ist im Kontrast dazu von den besseren alten Zeiten die Rede, in denen die Arbeiter noch zusammenhielten, in denen man füreinander eintrat, in denen der Druck, vor allem die ›Hetze‹ durch die Maschinen, geringer war. Überaus schwierig dürfte es sein, in solchen Aussagen das bloße Projektive vom Wahren zu scheiden. Vermutlich überträgt man auf die Frühzeit der Schwerindustrie Vorstellungen, die in einer viel weiter zurückliegenden Vergangenheit beheimatet sind, die erst als unwiederbringliche die Aura des Humanen gewinnt. Wegen der viel längeren Arbeitszeit; der Abwesenheit der Arbeitnehmervertretungen und sozialen Einrichtungen, welche den Druck mindern; der weit größeren physischen Beanspruchung vor der Mechanisierung war sicherlich die Industriearbeit früher weniger erträglich als heute; selbst wo die Maschinen das Arbeitstempo des einzelnen steigern, dürfte das gegenüber der physischen und psychischen Überlastung des Arbeiters der Zeiten von Dickens, von Engels oder auch noch von Zola kaum ins Gewicht fallen. Möglich dagegen ist es, daß man in Perioden einer kraftvollen Arbeiterbewegung in der Tat ein stärkeres Gefühl von kollektivem Rückhalt, von Geborgenheit hatte, und vor allem auch jene Art weitgespannter Hoffnung, die man heute zum alten Eisen all der Ideen zu werfen beginnt, die nach Spenglers Wort gegenüber den Fakten immer gleichgültiger werden. Daß es an solcher Hoffnung fehlt, ist wohl der innerste Grund für die illusionäre Verklärung der Vergangenheit.
Aus jener Zeit ist im Bewußtsein der Befragten noch manches übrig, aber aus dem lebendigen Zusammenhang gelöst, schlagworthaft gefroren, und in der Tat von der eigenen lebendigen Erfahrung so fern wie jene Männer, die man mit vager Gebärde ›die Kapitalisten da oben‹ nennt. Die Tendenz, sich in der Realität durch ein paar starre, verdinglichte und zugleich magisierte Begriffe zurecht zu finden – man hat mit Recht von einem ›Abstraktismus‹ als der unvermeidlichen Ergänzung des Konkretismus gesprochen – ist heute recht universal. Bei den Arbeitern geistern da Vorstellungen aus den verschiedensten Bereichen durcheinander, sozialistische wie die von Arbeit und Kapital, ein verschwommener Begriff von Gemeinschaft, auch Ausdrücke jüngster Prägung wie Managerkrankheit, unter der sich kaum einer etwas Rechtes wird denken können, an deren Realität man überhaupt zweifeln darf, die man aber doch für sich beansprucht – wäre es auch nur, um auf diese Weise mit dem Entfremdeten, eben den ›Managern‹, sich wenigstens im Gedanken an die Hast des Daseins zu identifizieren, die allen gleichermaßen das Leben verkürze.
Aus solchen gesamtgesellschaftlichen und keineswegs in den spezifischen Erfahrungen der Befragten sich erschöpfenden Zusammenhängen fällt ein Resultat heraus: der Unterschied zwischen dem ›Klima‹ im
Bergbau
und in den eisenschaffenden und -verarbeitenden Betrieben. Verantwortlich dafür sind offensichtlich von subjektiven Momenten unabhängige, handfeste Differenzen der Produktionsbedingungen. Diese sind im Bergbau, verglichen mit den modernen Fabrikationsverfahren, ›archaisch‹; dem nicht technologisch Gebildeten steht kein Urteil darüber zu, ob das an korrigierbaren Inhomogeneitäten und »Ungleichzeitigkeiten« der technischen Entwicklung liegt, oder ob, wie es jedenfalls dem von außen kommenden Besucher einleuchtet, durch die natürlichen Gegebenheiten im Bergbau der Technisierung Grenzen gesetzt sind, die sich heute durch den Gegensatz zu anderen Sphären besonders fühlbar machen. Möglicherweise verstärken sich sogar aus technologischer Notwendigkeit, nämlich dem in den untersuchten Bergwerken herrschenden Zwang, beim Abbau der Kohle in immer größere Tiefen zu gehen, die Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten der Produktion weiterhin. Daß freilich die Unzufriedenheit der Bergleute aufs Betriebs
klima
sich richtet, weist wieder über die materiellen Produktionsbedingungen an Ort und Stelle hinaus: auch das Verhältnis zur Arbeit ist, zumindest oberhalb einer gewissen Schwelle des überhaupt Erträglichen, nicht absolut, sondern bestimmt sich nach dem
durchschnittlich
herrschenden Standard der
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