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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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›Resultat‹ in seiner geronnenen Form, so wie es dem naiven Kontrahenten im Arbeitsvertrag sich darstellt, wahrgenommen. Die unmittelbare Erfahrung, daß zur industriellen Arbeit Kapital vorgestreckt werden müsse, die vordem nur von der anderen Seite vertreten, von der Theorie aber kritisiert war, wird wegen des Mangels an Theorie oder zum mindesten an deren Kenntnis von den Arbeitern kaum bestritten, und die Frage nach dem Ursprung des Kapitals selber im Produktionsprozeß ist gänzlich in Vergessenheit geraten. Daher will man sich bescheiden im Bestehenden einrichten, und die herrschende Prosperitätsperiode wie die Erinnerung an die Notgemeinschaft der ›Sozialpartner‹ in der Zeit des Wiederaufbaus helfen jene Gesinnung zu verstärken.
    Übrigens ist keineswegs ausgemacht, ob es früher, als noch Klassenkampfparolen galten, wirklich so gar anders – ob nicht damals das Bewußtsein zahlloser Arbeiter gespalten war in theoretische Vorstellungen und unmittelbare Erfahrungen. Schon damals mögen der Sozialismus als ›Weltanschauung‹ und die empiristisch-nüchterne Beurteilung der je erfahrbaren Verhältnisse, die Thorstein Veblen zufolge den industriellen Arbeiter stets schon charakterisiert, disparat nebeneinander hergelaufen sein. Die institutionelle Scheidung zwischen den sozialistischen Parteien einerseits und den Gewerkschaften andererseits hat diese Divergenz ausgedrückt und gefördert; heute scheint der Konflikt ganz und gar zugunsten eines angepaßten Realitätssinnes entschieden. Das Mißverhältnis zwischen der zusammengeballten Macht der Verhältnisse und der Ohnmacht des einzelnen schlägt im Denken des einzelnen sich nieder – selbst die Einsicht ins Wahre nimmt für ihn den Aspekt des unnützen Ballasts und der peinlichen Erinnerung an, wenn ihr keine einigermaßen durchsichtige Anweisung zur verändernden Praxis sich gesellt; wenn der Zustand, von dem aus der bestehende kritisiert werden könnte, trotz aller Fortschritte der technischen Mittel unerreichbar dünkt. Die Systemimmanenz im Denken der Befragten zieht daraus die Folgerung, und insofern sie dem realen Zustand selber, den sie nicht mehr durchdringt, eben damit auch wiederum Rechnung trägt, ist sie keineswegs bloß falsches Bewußtsein.
    Unter dieser Generalklausel stehen zumal die komplizierten und untereinander nicht widerspruchsfreien Resultate hinsichtlich des
Lohns.
Es ist daran zu erinnern, daß in der Umfrage »Lohnzufriedenheit« instrumentell definiert war, nämlich durch die Antworten auf vorverschlüsselte Fragen danach, ob die Bezahlung im Werk der Leistung angemessen sei. Aber auch die freien Äußerungen über den Lohn, die der Studie in den Gruppendiskussionen zugefallen sind, tragen relativen Charakter. In erster Linie wird ans Verhältnis des Lohnes zu dem anderer, zumal besser Gestellter gedacht. Mit dem Lohn ist man zufrieden, wenn man innerhalb des gegebenen Zustandes glaubt, ungefähr das Erreichbare erreicht zu haben; unzufrieden, wenn man selber ebenso gut dran sein möchte wie eine übersehbare und dem Lebensstandard nach mit den eigenen Forderungen vergleichbare Gruppe.
    Jener Blick auf das Nahe und Erreichbare und die ihm durchweg entsprechende – ›konkretistische‹ – Haltung zeigt sich als Phänomen gesellschaftlicher Entfremdung zumal in einem Sektor, der selber schon nach dem Maß von Nähe und Unmittelbarkeit dem Begriff des Betriebsklimas spezifisch zugehört, dem Verhältnis zu Kollegen und zumal
Vorgesetzten.
Innerhalb einer hierarchischen, arbeitsteiligen Organisation mit streng geschiedenen Teilfunktionen kommen vorab die ›nahen‹ Vorgesetzten mit den Arbeitenden in Berührung, so daß von menschlichen Beziehungen wesentlich nur in diesem engen Umkreis gesprochen werden kann. Hinzu tritt aber ein sozialpsychologischer Aspekt. Die Erfahrung, gerade jenen entfremdet zu sein, von denen das eigene Schicksal weithin abhängt, ist schmerzvoll: um der Kälte und Einsamkeit willen, die sie bringt, ebenso wie wegen des Gefühls, selbst nur fungierendes Objekt und, trotz aller Reden vom Menschen, auf den es ankomme, nicht Subjekt zu sein; schließlich aber auch, weil sich die Angst verstärkt, daß man anonymen Mächten und Prozessen ausgeliefert sei, von denen einem jede Anschauung fehlt, die man darum nicht begreift und denen man dann doppelt hilflos gegenübersteht. All dem innerlich standzuhalten, scheint ungemein schwierig, und man hilft sich triebökonomisch damit, daß man das Ferne und

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