Gesammelte Werke
dieser Situation zu tun sei. Abzulehnen ist offenbar eine sogenannte Synthese, die einerseits überkommene Bildung zu konservieren trachtet, sie aber andererseits mit praktischen Desideraten auf eine veräußerlichte Weise zu verbinden sucht. Vielmehr scheinen sich aus der gegenwärtigen Dialektik des Bildungsbegriffs selber zwei Ansätze zu ergeben:
Zunächst ist der Begriff der Allgemeinbildung zwar seinerseits pragmatisiert; aber es spricht andererseits vieles dafür, daß, wenn man erst einmal mit der Sphäre eines nicht unmittelbar praktisch verwendbaren Geistigen in Berührung gekommen ist, diese Sphäre selber eine Art von Glanz, etwas Lockendes annimmt; die Studenten also, wenn ihnen dazu der akademische Unterricht seiner Substanz nach verhelfen würde, zu dem Bewußtsein gelangen könnten, sich mit dem hartgesottenen Realismus – wie er sich bei vielen ja offenbar findet – etwas zu verbieten, was man sich in Wahrheit selber wünscht.
Wichtiger ist aber wohl der Ansatz bei dem Begriff des Fachspezialistentums selber, auf dessen Notwendigkeit sich die Studenten immer wieder berufen. Man darf wohl sagen, daß das Bewußtsein, indem es sich an einer noch so spezialisierten Sache abarbeitet, wofern es sie nicht nur als Mittel zu einem Zweck nimmt, sich zugleich überhaupt erst selbst bestimmt und dadurch notwendig ein Moment des Geistigen in sich aufnimmt. Gerade indem es sich ins scheinbar bloß Konkrete versenkt, gelangt es zu einem nicht bloß abstrakten Allgemeinen. Der Weg, der aus der antagonistischen Situation des Bildungswissens hinausführt, scheint danach allein die konkrete Selbstreflexion in der Sache zu sein, nicht das generelle Predigen von Idealen.
1957
Fußnoten
1 Die Umfrage, auf der die vorgelegten Ergebnisse basieren, wurde 1953 bei einem repräsentativen Querschnitt der Frankfurter Studentenschaft durchgeführt. Es muß offenbleiben, wieweit diese Ergebnisse in ihrer Gültigkeit für die Gegenwart durch die Entwicklung der letzten Jahre modifiziert worden sind.
2 Vgl. C.G. Jung, Psychologische Typen, Zürich 1925, S. 607ff.
Vorwort zur deutschen Übertragung der
Quatre Mouvements
von Charles Fourier *
Nachdem das Institut für Sozialforschung vor einigen Jahren einen wichtigen gesellschaftstheorerischen Text der Vergangenheit, die Esquisse von Condorcet, herausgebracht hat ** , folgt nun ein zweiter, die Quatre Mouvements von Charles Fourier. Die Anregung zur Publikation ging von Prof. Gottfried Salomon-Delatour aus, der, nach seiner Rückkehr, als emeritierter Ordinarius der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität, am Institut in zahlreichen Vorlesungen und Seminaren wirkte. Weiterreichende Pläne, die sich vor allem auf die editorische Tätigkeit bezogen, hat Salomons jäher, beklagenswerter Tod zunichte gemacht. Er hatte sich noch um die Übersetzung des Buches gekümmert und skizzierte eine Einleitung; seine Witwe stellte das Fragment liebenswürdigerweise dem Institut zur Verfügung. Offensichtlich handelt es sich um die erste Niederschrift von Ideen. Unter deren Wahrung mußte eine endgültige und selbständige Einleitung erarbeitet werden. Die schwierige Aufgabe löste Elisabeth Lenk, die als Studentin auch bei Salomon gehört und seine Seminare besucht hatte, mit ebensoviel Zartheit und Pietät wie produktiver geistiger Kraft. Ihr ist die Quadratur des Zirkels gelungen, das von Salomon Entworfene zu erhalten und gleichwohl ein durchaus Eigenes zu geben, das für sich selber spricht.
Für die Übersetzung ist Frau Dr. Gertrud von Holzhausen aufs herzlichste zu danken; sie scheute keine Zeit und Mühe, stets wieder ändernd und bessernd der ungezählten Probleme sich anzunehmen, die das Verständnis Fouriers aufwirft. Die Redaktion des Bandes lag in den Händen von Frau Dr. Margarete Adorno. Zum Inhalt und zur theoretischen Deutung der Quatre Mouvements ist der Einleitung nichts hinzuzufügen. Nur soviel sei gesagt: angesichts der Dogmatisierung sozialistischer Theoreme, die im östlichen Machtbereich aus politischen Motiven erfolgte, gewinnen Gedanken erneute Aktualität, die schon früh und nicht erst in jenem Bereich als utopisch verfemt worden sind. Unter den Utopisten nimmt der unrevolutionäre Fourier eine extreme Position ein. Keiner bietet dem Vorwurf des Utopismus schutzloser sich dar als er; bei keinem aber auch ist die Anfälligkeit der Doktrin so sehr gezeitigt vom Willen, die
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