Gesammelte Werke
ihm, in einer mir fast unbegreiflichen Weise, gleichgültig. Hätte man ihm in dieser Richtung eine Frage gestellt, er hätte sie lachend und achselzuckend weggewischt. Solche Haltung hat dann, wie es zu gehen pflegt, über seinen Tod hinaus nachgewirkt. Helge Pross macht in ihrer Einleitung mit Recht darauf aufmerksam, daß der »Behemoth«, vermutlich bis heute das tiefste und wahrste Werk über den Nationalsozialismus, in Deutschland außerhalb des engsten Kreises der Fachgelehrten nicht entfernt so bekannt und wirksam geworden sei, wie das Buch, seinem Gehalt nach, es verdient hätte. Angesichts der Beschaffenheit von Person und œuvre ist es ein Stück Wiedergutmachung im doppelten Sinn, an ihm und an der Sache, wenn in der Bundesrepublik nachdrücklich die Aufmerksamkeit auf Neumann gerichtet wird.
Die Idee des »Behemoth«, bezeichnend für die Struktur alles dessen, was er verfaßte, ist originell im höchsten Maß, den Oberflächenvorstellungen vom monolithischen Faschismus schroff entgegengesetzt. In Übereinstimmung mit Untersuchungen von Otto Kirchheimer und Arkadij Gurland wird dargetan, daß der nationalsozialistische Staat, der sich als total-einheitlich propagierte, in Wahrheit pluralistisch war. Die politische Willensbildung stellte sich her durch die planlose Konkurrenz mächtigster sozialer Cliquen. Als erster vielleicht hat Neumann gewahrt, daß das Schlagwort Integration, seit Pareto eines der Zentralstücke faschistischer Ideologie, Deckbild seines Gegenteils ist, eines Zerfalls der Gesellschaft in die divergierenden Gruppen, die, äußerlich und abstrakt, von der Diktatur unter einen Hut gebracht werden, ohne daß sie im Leben der Gesellschaft sich spontan auszugleichen vermöchten, und die den verhimmelten Staat zu sprengen drohen. Ihm ist die Einsicht zu danken, daß, was sich rühmte, der Destruktion ein Ende zu bereiten und aufzubauen, seinerseits in eminentem Maß destruktiv, zerstörerisch ist, nicht nur gegenüber allem Humanen und nicht erst in der außenpolitischen Konsequenz, sondern rein immanent, in sich selbst; daß unterm Faschismus eben das zerfällt, was zu retten er vorgibt. In einem Augenblick, in dem die Parole von den aufbauenden und positiven Kräften erneut Zahlreiche zu verlocken droht, ist Neumanns Lehre von höchster Aktualität, der angebliche Monolith autoritärer Regierungsformen decke nur notdürftig einen Antagonismus der Kräfte zu. Die Gesellschaft, unfähig, in freier Bewegung länger sich zu reproduzieren, bricht auseinander in diffuse barbarische Vielheit, das Gegenteil jener versöhnten Vielfalt, die allein ein menschenwürdiger Zustand wäre. Er hat abgesehen, was es real mit dem Irrationalismus auf sich hat, der den Nationalsozialisten als Weltanschauung diente.
Durch den Gehalt seiner politischen und gesellschaftlichen Theorie, nicht durch hochtönende Parolen, ist das Werk Franz Neumanns das stärkste Plädoyer für ungeschmälerte Humanität.
Januar 1967
Fußnoten
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Adorno schrieb den Text als Vorwort zu einem für die »Frankfurter Beiträge zur Soziologie« geplanten Auswahlband, der dort nicht erschienen ist.
Rede beim Empfang anläßlich des 15. Deutschen Soziologentages *
Meine sehr verehrten Anwesenden! Wenn ich heute abend im Namen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie einige Worte sage, um zunächst denen zu danken, welche zur Realisierung des Max-Weber-Kongresses beigetragen haben, so hat das etwas Usurpatorisches. Die Zeit der Vorbereitung dieses Kongresses war wesentlich noch die, in welcher der alte Vorstand seines Amtes waltete. Ginge es dem Verdienst nach, so wäre mein verehrter Kollege Stammer weit mehr qualifiziert als ich. Es ist mir aber eine wahrhafte Freude, zunächst dem Herrn Finanzminister Müller zu danken. Ohne die großzügige Hilfe des Landes Baden-Württemberg wäre die Veranstaltung niemals zustande gekommen. Zugleich empfinde ich es als schön, daß ich Herrn Stammer, auf dem die Arbeitslast der Vorbereitung wesentlich lag, sagen darf, was wir ihm schulden, und ebenso Herrn Topitsch, der als Leiter des Lokalkomitees nachdrücklich mitwirkte, obwohl er sein eigenes umfangreiches Referat für den Kongreß auszuarbeiten hatte. Die Genannten sind weit über das hinausgegangen, was man sonst von Gelehrten an organisatorischer Tätigkeit füglich erwarten darf; darum ist auch der Dank an sie nicht der konventionelle.
Sie werden verstehen, daß ich nicht alle die 40 Referenten und
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