Gesammelte Werke
Vorstellung des besseren Zustands zu konkretisieren. Das Verbot auszudenken, wie es sein solle, die Verwissenschaftlichung des Sozialismus, ist diesem nicht nur zum Guten angeschlagen. Das Verdikt über Phantasie als Phantasterei fügte sich einer Praxis ein, die sich Selbstzweck war und mehr stets im Bestehenden verstrickte, über das sie einmal hinaus wollte. Vor ihr hat Fourier die rücksichtslose Kritik an Versagung voraus. Wenn für einen, dann gilt für ihn der Vers, den Karl Kraus nach dem Tod von Peter Altenberg schrieb: »Ein Narr verließ die Welt, und sie bleibt dumm.«
Mai 1966
Fußnoten
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Vgl. Charles Fourier, Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen Hrsg von Theodor W. Adorno. Deutsche Übertragung von Gertrud von Holzhausen. Frankfurt a.M., Wien 1966.
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Vgl. Condorcet, Esquisse d'un tableau historique des progrès de l'esprit humain [franz. und deutsch]. Hrsg. von Wilhelm Alff. (Deutsche Übertragung von Wilhelm Alff in Zusammenarbeit mit Hermann Schweppenhäuser.) Frankfurt a.M. 1963.
Franz Neumann zum Gedächtnis
Die Publikation politisch-sozialer Schriften von Franz Neumann in der Reihe des Instituts für Sozialforschung * entspricht einer Verpflichtung ebenso wie einem Bedürfnis. Einer Verpflichtung, weil Neumann in den Jahren der Emigration in New York zum Kern des Instituts gehörte; auch nach der Rückkehr des Instituts nach Frankfurt blieb er ihm nah verbunden. Hätte der Plan, ihn für die Position zu gewinnen, die ihm gemäß gewesen wäre – ein Ordinariat in Berlin, wo er vor dem Ausbruch der Hitlerdiktatur wirkte und lehrte –, sich realisiert, so hätte das fraglos weiterhin enge Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Institut bedeutet, dessen Intentionen stets auch die seinen waren. Ein wahrhaft sinnloser und trostloser Unfall, während einer Schweizer Ferienreise, zerstörte brutal die Hoffnung darauf. Nicht anders vermag das Institut seine Solidarität mit dem Toten heute zu bekunden, als indem es zu seinem Teil dazu beiträgt, Neumanns wissenschaftliche Produktion dem lebendigen Bewußtsein zu erhalten.
Über diese Verpflichtung hinaus geht das menschliche Bedürfnis, die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Neumann war, dem Naturell nach, eher verschlossen, seine Leidenschaft drückte stets fast im sachlichen Interesse, zumal im politischen Engagement sich aus. Selten sprach er von sich; kaum vorzustellen, daß er je einem Freund sich geöffnet hätte. Der in Denkstruktur und Gestik den Juristen nie verleugnete, mochte leicht den Eindruck eines Rationalisten erwecken, den von Kühle, trotz seines eindringlich argumentierenden und plädierenden Temperaments. Dieser Eindruck trog, wie denn seine Art, Politik zu betreiben, menschliche Triebfedern voraussetzt, die Neumann, sei's freiwillig, sei's aus psychologischem Zwang, im Verborgenen hielt.
Sein Handeln stand zu seiner privaten Zurückhaltung im merkwürdigsten Gegensatz. Kaum je ist mir ein Mensch begegnet, bei dem die Art, wie er sich gab, und sein wahres Wesen, das in seinem Tun sich offenbarte, so sehr auseinander gewiesen hätten wie bei Franz Neumann. Kaum fürchte ich zu übertreiben, wenn ich ihn, den ich seit unseren frühesten Studententagen, wohl 1921, kannte, den generösesten Menschen nenne, den ich getroffen habe. Der über scharfe und vorausdenkende Vernunft verfügte, nutzte sie niemals fürs eigene Interesse aus. Wie er dazu neigte, auch unter den schwierigen Bedingungen der ersten Emigrationsjahre – wir verbrachten den Abend jenes 30. Juni 1934 zusammen in London –, den letzten Groschen für andere, Bedürftigere herzugeben; wie ihm Geiz nicht nur sondern fast die Sorge um den nächsten Tag völlig fremd waren; wie der gutbürgerlich wirkende Jurist nicht die Spur bürgerlicher Instinkte kannte, so verhielt er sich auch zur eigenen Arbeit. Das motiviert das spezifische Bedürfnis, jener Arbeit beizustehen, der er selbst beizustehen mit solcher Noblesse verschmähte.
Er gehörte zu dem Typus des Gelehrten, der, bei äußerstem sachlichen Interesse an den Problemen und größter wissenschaftlicher Verantwortung, eigentlich zufrieden war, wenn er etwas Wesentliches erkannt hatte. Der Drang zur Objektivation, zur verbindlichen Formulierung, auch zu wissenschaftlichem Ruhm ging ihm gänzlich ab. Daher entraten seine Arbeiten des Charakters in sich objektivierter Werke. Sie sind mehr wie aides mémoires, Erinnerungsstützen oder Forschungsberichte; ihr Schicksal war
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