Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
Vom Netzwerk:
steht vor Augen, daß Soziologie heute, und zwar auf der ganzen Welt, die Tendenz hat, in Sozialtechnik überzugehen, nach dem Modell der technischen Naturwissenschaften. Während sie dadurch, wie diese, sich vielfach verwendbar und nützlich macht, droht ihr so gründliche Integration, daß sie am Ende das Analysieren darüber verlernt; schon fehlt es nicht an solchen, die aufs ominöse Positive sie vereidigen möchten. An Max Weber wäre zu lernen, was freilich
so
wohl nur zu seiner geschichtlichen Stunde möglich war: daß die Soziologie der Tendenz zur Fachwissenschaft nicht sich versagt und ihr gleichwohl nicht verfällt. Sie hat bis heute in Deutschland keinen imponierenderen Fachgelehrten hervorgebracht als Weber, aber trotzdem, und trotz der sogenannten Wertfreiheit, hat er die Fühlung mit den wesentlichen Fragen der Gesamtgesellschaft und ihrer Struktur keinen Augenblick lang verloren. Diese Fragen determinieren seine einzelwissenschaftliche Arbeit allein schon durch die Themenwahl. Studiert man Webers große soziologische Texte, vor allem »Wirtschaft und Gesellschaft«, und nicht bloß die wissenschaftstheoretischen Schriften, so wird man finden, daß inmitten der wertfreien Methode, die es in der Durchführung gar nicht so sehr war, wie sie sich selbst verstand, das Nachdenken über eine humane Zukunft der Menschheit den Nerv bildet. Seine Prognosen und Vorschläge stehen zur Kritik, so wie mein Freund Herbert Marcuse in seinem Referat rückhaltlos sie übt. Aber solche Kritik hat mit Weber gemeinsamen Grund: den Willen, nicht äußerlich, branchenmäßig die Registrierung von faits sociaux und die Einsicht in die Lebensfragen der Gesellschaft als ganzer voneinander zu trennen. Beides ist durcheinander vermittelt: ohne Theorie des Ganzen, ohne das authentische Interesse an seiner Gestaltung gibt es keine produktive Einzelfeststellung; ohne Versenkung in die Empirie vermag noch die wahrste Theorie ins Wahnsystem auszuarten. Die Spannung zwischen beiden Polen ist das Lebenselement unserer Wissenschaft; notwendig drückt sie sich aus im heftigsten Gelehrtenstreit. Soziologen steht es nicht an, bei festlichen Gelegenheiten das Seid einig, einig, einig nachzublöken und auf die vorgebliche Übereinstimmung der wissenschaftlichen Gesinnung sich zu verlassen. Ihre Idee ist allzu formal, und in unserem Bereich hilft der Appell an sie wenig, weil ihre Gegenstände die unmittelbaren Nöte und Interessen der Menschen sind, deren Behandlung von ihnen selber nicht getrennt werden kann. Strengen Sinnes ideologisch wäre es, das zu verleugnen. Soziologie kann, aus gesellschaftlichen Gründen, nicht die Gestalt einer versöhnlichen Gelehrtenrepublik für sich beanspruchen, die anderen Wissenschaftssparten immer noch verstattet sein mag. Wohl aber ist es an uns, auch die unaufhebbaren Divergenzen, das durch keine voreilige Versöhnung Wegzuschaffende, ins Bewußtsein zu heben, denkend uns ihm zu stellen. Eben das ließ das düstere, allem offiziellen Optimismus und aller Phrase feindliche Werk Webers sich angelegen sein. Viel ist aus seinen reichen und verzweigten Schriften herauszulesen, mir aber will scheinen, vor allem die Kraft, geistig noch der übermächtigen gesellschaftlichen Tendenz standzuhalten. Dazu wäre freilich der Begriff der Rationalität, ihm der wichtigste, über die Schranken der Zweck-Mittel-Relation hinauszubringen, in denen er ihn gebannt hielt. So wäre vielleicht das von ihm Ererbte zu erwerben: durch unbeirrte Reflexion seiner ratio einer vernünftigen Einrichtung der Welt ein wenig zu dienen.
     
    1964
     
     
Fußnoten
    *
Der 15. Deutsche Soziologentag fand vom 28.-30. April 1964 in Heidelberg statt; sein Thema war » Max Weber und die Soziologie heute«. Adorno, als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, hielt seine Rede am Abend des ersten Verhandlungstages im Heidelberger Schloß.
     

Worte zum Gedenken an Theodor Heuss *
     
    Mir ist die Aufgabe zugefallen, einige Worte zum Gedächtnis an Theodor Heuss zu sagen, den ersten Präsidenten der Bonner Bundesrepublik; er war Mitglied unserer Gesellschaft. Seine Zugehörigkeit zu ihr faßte er nicht formell auf; manche von Ihnen werden sich daran erinnern, daß er seinerzeit, auf dem 12. Deutschen Soziologentag in Heidelberg, 1954, bat, nicht als Bundespräsident, sondern als Gelehrter unter seinen Fachgenossen betrachtet und behandelt zu werden. Er sagte das mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit, nicht gespielt

Weitere Kostenlose Bücher