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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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bescheiden, aber auch ohne den Gestus von Würde, die etwas von sich nachläßt, sondern als die Person, die er war und die aus nichts Autorität zog als aus ihrem inkommensurablen, nicht durch Anpassung verschlissenen Wesen. Bei diesem Anlaß sprach er erstmals mit mir; er hatte vor Jahrzehnten recht nahe Beziehungen zu meiner Familie mütterlicherseits unterhalten, und der Name war ihm aufgefallen. Seitdem haben wir uns hin und wieder gesehen, einmal längere Zeit in Sils Maria, zuletzt bei der Besprechung wegen eines Literaturpreises in Stuttgart. Ohne daß ich beanspruchen dürfte, ihn wirklich nahe gekannt zu haben, hat die Figur sich mir doch so tief eingeprägt, daß ich vielleicht das Recht habe, sie zu charakterisieren. Wir müssen ihn gerade auf dieser Tagung ganz besonders vermissen. Max Weber bedeutete ihm wahrhaft etwas. Nicht lange vor seiner Erkrankung schickte er mir noch eine Arbeit über ihn. Überblickt man das Werk von Theodor Heuss, so wäre Anlaß genug, von ihm als Soziologen zu reden, mag auch der Schwerpunkt seiner Arbeit dem gegolten haben, was man nach gängiger Einteilung in Branchen Politische Wissenschaft und Sozialpolitik nennt; aber Sozialpolitik wäre unsinnig ohne Kenntnis der Gesellschaft, auf die sie sich erstreckt, und Heuss hat das sehr wohl gewußt.
    Hebe ich trotzdem einen anderen Aspekt an ihm hervor, so nicht nur deshalb, weil ich sein wissenschaftliches œuvre nicht hinlänglich kenne. Sondern es wäre schief, seiner zu gedenken und nicht das Gewicht auf das zu legen, wodurch er der Geschichte sich eingeprägt hat und wodurch sein Name unverlierbar ist, wenn anders die Idee einer deutschen Demokratie ernst gemeint wird. Lassen Sie mich versuchen, in ganz wenigen Worten zu umreißen, was die Figur von Heuss soziologisch bedeutete: nämlich als Sozialcharakter; was diese Individualität in dieser Gesellschaft und ihrer politischen Verfassung darstellte.
    Zunächst war Heuss, wohl als erstes deutsches Staatsoberhaupt seit Menschengedenken, Zivilist durch und durch. Der berühmt gewordene Manöverausspruch »Nun siegt mal schön«, der den Zwang militärischer Ausbildung wenigstens im Begriff aufhob durch die Humanität, der er ihn unterstellte, war der ganze Mann; alles Säbelrasseln, wörtlich und übertragen, war ihm fremd, nicht bloß aus Gesinnung zuwider. Sein Naturell kannte nichts von jenem Respekt vor organisierter Gewalt, der das deutsche Staatswesen vergiftet hat. Daß es, mit Hegel oder den alten Pythagoräern zu reden, darauf ankäme, der gute Bürger eines guten Staates zu sein, war ihm so sehr zweite Natur, daß er wahrscheinlich Mühe gehabt hätte, die Konzeption des Staatsoberhaupts als ein bronzenes Denkmal einer Herrscherfigur überhaupt zu denken. Er hat durch seine bloße Existenz, keineswegs erst durch das, was er sagte, ein Bild der Repräsentanz des Staates, und damit doch auch des Staates selber, aufgerichtet, wie es in so unprätentiöser und sachlicher Reinheit, so frei vom Habitus der Gewalt vor ihm in Deutschland unbekannt war. Diesem Bild die Treue zu halten, wäre wahrhaft alles andere als Bilderdienst.
    Dann: er war ein Intellektueller. Den Typus des durch geistige Arbeit Abgesonderten, dem die Gestalt seiner Arbeit Naivetät, erst die in der Selbsterhaltung des Lebens und dann auch die des Gedankens, verwehrt, hat er von dem Odium befreit, das ihm in Deutschland anhaftete, nicht erst seit Goebbels das denunziatorische Wort von der Intelligenzbestie erfand. Heuss war ein Staatsoberhaupt, das, ohne zu zittern, anstelle des Schwertes seinen Füllfederhalter führen konnte. Dabei hatte er selbst, als Intellektueller, paradox naive Züge, die auch jene versöhnen mußten, welche den Haß auf den Intellektuellen selbst nach dem Sturz des Hitler nicht loswurden. Er bewährte eine der seltensten und besten Tugenden des Intellektuellen, die der Selbsterweiterung.
    An einem Vorfall kann ich das erläutern. Ich glaube nicht, daß er, der alte Mann, zur radikalen modernen Kunst eine besonders enge Beziehung hatte, aber er verhielt auch zu ihr sich liberal und sachlich. Nie wäre es ihm beigekommen, wie es Menschen in seiner Position naheliegt, Phrasen über die Volksverbundenheit der Kunst nachzubeten; man war überhaupt bei ihm vor dem gefeit, was Theodor Haecker die Schmach des Offiziellen nannte. Mit Benno Reifenberg und Hermann Heimpel gab er das biographische Sammelwerk »Die großen Deutschen« heraus. Ich hatte es übernommen, dafür den Artikel

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