Gesammelte Werke
Handgelenk die zehn deutschen Romane nennen kann, die mir die besten dünken; sehr viel ist darunter, was ich zu lange nicht gelesen habe, was ich vielleicht auch einfach aus Gewohnheit dazu zählen würde, und um zu einer einigermaßen verantwortlichen Ansicht zu gelangen, brauchte ich sehr viel mehr Zeit, als Ihnen für die Umfrage zur Verfügung steht, und auch als ich selbst jetzt, mitten während des Semesters, habe. Hinzu kommt eine sachliche Überlegung: ich kann mich nicht dazu bringen, eine solche Auslese zu treffen, weil ich nicht glaube, daß es in der Kunst überhaupt eine Hierarchie von der Art gibt, daß man von den zehn besten Werken eines Typus reden kann. Zu viele sind unvergleichlich, ein Kunstwerk ist der Todfeind des anderen und möchte kein anderes neben sich haben, und eine Art Liste des ewigen Vorrats käme mir schon allzu sehr auf jene Art des erfassenden Durchmusterns heraus, die mir untrennbar erscheint von der gegenwärtigen administrativen Neutralisierung alles Kulturellen. Ich hoffe, daß Sie mir meine Offenheit verzeihen, aber ich glaube dem Ernst Ihrer Frage besser gerecht zu werden, wenn ich über die Frage selbst ernst rede, als wenn ich Ihnen eine unverbindliche Auskunft erteilte.
1956
Daran glaube ich
Ich glaube, daß die Frage, die in dem Satz »Daran glaube ich« beschlossen liegt, sich nicht beantworten läßt, und möchte versuchen, anstelle einer Antwort deren Unmöglichkeit zu begründen.
Wenn der Begriff des Glaubens nicht die unverbindliche und gleichgültige Meinung bezeichnen soll, so gehört er in den theologischen Bereich, und zwar vorab in den christlichen. Denn von den großen Religionen erhebt allein das Christentum den Anspruch, es habe ein durch Vernunft nicht Nachvollziehbares, die Offenbarung, schließlich das Menschsein Gottes, die gleiche Autorität wie das durch Vernunft Erkannte. Diese rational nicht nachvollziehbare Autorität soll verbürgt werden durch jenen Glauben, der Berge versetze. Seine Betonung ist gewachsen im gleichen Maß, in dem der geschichtliche Stand des Bewußtseins und das Dogma sich voneinander entfernten; in dem also dem Bewußtsein etwas aufgebürdet wurde, wogegen es von sich aus sich sträubte. Zentral steht der Begriff des Glaubens erst im Protestantismus; in der Hochscholastik ist er noch mit der natürlichen Erkenntnis vielfach vermittelt.
Seit der Neuzeit sind die Spannen in der Idee des Glaubens unermeßlich angewachsen. Während für das weltliche Bewußtsein die überwältigende Zumutung des Glaubens mehr stets verblaßte, bis er wirklich wieder jener untriftigen Meinung sich anglich, die Platon einmal an der Wahrheit gemessen und verworfen hatte, haben die, welche es mit dem Glauben ernst nahmen, wie der Jansenist Pascal und der radikale Protestant Kierkegaard, notwendig immer schroffer jene Zumutung hervorgekehrt. Sie am letzten hätten es gewagt, zu sagen woran sie glauben, weil sie am genauesten wußten, wie wenig dinghaft und fixiert der dem eigenen Wesen nach gefährdete Glaube ist, der in dem Augenblick zur Unwahrheit herabzusinken droht, in dem er sich als Sicheres bekennt. Bekenntnisse mochten in einer festgefügten theologischen Ordnung gesprochen werden, in der sie nicht isoliert stehen, sondern getragen werden von dem hierarchischen Gefüge des Ganzen; dem vereinsamten Bewußtsein sind sie verwehrt.
Sobald aber der weltlich Denkende nicht mehr in dem Wort Glauben die geschichtlichen Konflikte nachzittern spürt, die es in sich birgt, beugt er sich jener Neutralisierung alles Geistigen zum bloßen Kulturgut, der er zu widerstehen hat. Daß Faust auf Gretchens Frage die metaphysische, aber ein wenig vage und gewundene Antwort gibt: »Wer darf sagen: / Ich glaub' an Gott? / [...] Wer darf ihn nennen? / Und wer bekennen: / Ich glaub' ihn. / Wer empfinden, / Und sich unterwinden / Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?« ist zu erklären nicht bloß aus der Verlegenheit dessen, der das Vertrauen der Geliebten nicht verlieren mag, ohne daß sein vielfach gebrochenes Denken ihrer Einfalt standzuhalten vermöchte, obwohl eine Spitze gegen den reflektierenden Verstand in der Stelle enthalten sein mag. In der Tat jedoch könnte Faust, ohne sich selber zu verleugnen, anders nicht reden. Daß sein Glaubensbekenntnis so matt gerät, sagt nicht sowohl etwas gegen den Grübelnden als gegen die Frage selbst, in der damals schon ein gewaltsam Katechisierendes, die Pistole auf die Brust Setzendes mitklang. Hegel, der
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