Gesammelte Werke
Konzeption des
Faust
so nahe verwandt, hat das so ausgedrückt, daß seine Philosophie nicht, wie die früheren, auf einen ›Spruch‹ zu bringen sei, sondern daß ihre Wahrheit in der Totalität, der entfalteten Bewegung des Denkens insgesamt ruhe.
Heute vollends ist die Frage nach dem Glauben, wie sie vor 150 Jahren der Kritik verfiel, in weitem Maß zu der nach vorschriftsmäßiger Gesinnung, nach Konformität geworden. Wollte einer sagen, er glaube an die Humanität oder an die Menschheit oder an absolute Werte, so hätte ein solches Bekenntnis, wie schmeichelhaft auch immer für den Bekennenden, eine Ohnmacht und Willkür, die es teilte mit dem Allerweltsrelativismus, dem es zu entgehen hofft. Die Abstraktheit, zu der ein jeglicher solcher Glaubensinhalt verurteilt wäre, wofern er nicht ein Endliches verabsolutieren, dem Fetischismus zum Opfer fallen will, richtet zugleich über jene Inhalte. Was in ihnen an Wahrem aufbewahrt ist, kann sich behaupten nur durch die Konsequenz und Unbeirrbarkeit widerstehenden Denkens. Woran einer glaubt, könnte einer, der die Naivetät verlor, kaum ohne Scham, kaum einer mit Wahrheit sagen. Wohl aber läßt das Unwahre sich in bestimmter Negation benennen, und sie hält das Erbe des Glaubens fest.
Geschrieben 1957; ungedruckt
Umfrage über literarische Themen
1.
Welche Themen vermissen Sie in der deutschen Literatur der Gegenwart?
2. Welche Themen wurden Ihrer Ansicht nach so vielfältig behandelt, daß man sie jetzt ruhen lassen sollte?
Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich darauf nicht antworten kann. Denn mir will bei literarischen Gebilden – also solchen, bei denen das Formgesetz zentral steht – der Begriff des Themas nicht einleuchten. In den Romanen von Beckett, in denen kein Wort von dem geschichtlichen Grauen unserer eigenen Epoche geredet wird, scheint mir dies Grauen unvergleichlich viel genauer ausgeführt, als wenn Herr Zuckmayer Stücke über den Atomkrieg oder die SS schreibt, die schließlich doch nicht mehr als die UNESCO-Weisheit wiederkäuen, daß es immer nur auf den Menschen ankomme.
Die Kultur. September 1960 (Jg. 8, Nr. 155), S. 4
Umfrage über die Todesstrafe
Zur Sache scheint mir Walter Benjamin das Tiefste gesagt zu haben: »Die Tötung des Verbrechers kann sittlich sein – niemals ihre Legitimierung.« Keineswegs fühle ich das Bedürfnis, die rechtsphilosophischen und juristischen Argumente zu wiederholen, die längst gegen die Todesstrafe vorgebracht worden sind, obwohl einige von ihnen, wie der Nachweis des mythologischen Unsinns der Vergeltungstheorie und die Kritik einer Strafe, die im Falle des Rechtsirrtums nicht korrigiert werden kann, stringent sein dürften. Mir genügt, ohne jede weitere Begründung, der Ekel davor, daß ein vor Angst halb irrer, auch physisch zerfallener Mensch, der sein Ich schon verloren hat, ehe man ihm den Kopf abhackt, in Gegenwart befrackter Notabeln umgebracht wird, die mit wichtiger Miene, ernst, aber gefaßt zuschauen, das Greuel als sittlich gefestigte Persönlichkeiten verlassen, und es sich womöglich noch zum Guten anrechnen, daß sie dem einzig menschenwürdigen Impuls nicht folgten: die Staatsaktion aufzuhalten oder zu stören. All das ist so widerlich, daß ich es um keinen Preis sanktioniert sehen möchte – nicht einmal im Fall Eichmann. Daß man im Ostbereich an der Prozedur nach wie vor festhält, ist allein schon der hinreichende Beweis dafür, daß die Ordnung dort das Gegenteil jenes realen Humanismus ist, für den sie sich ausgibt. Gar zu gut harmonieren damit jene Stimmen in der Bundesrepublik, die nach dem, was die Nazis im Namen von Strafe an Verbrechen verübten, für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädieren, als ob deren Abschaffung nur solange zeitgemäß gewesen wäre, wie sie Nazis hätte ereilen können. Schließlich hat die empirische Sozialforschung und Sozialpsychologie längst erhärtet, daß das Bedürfnis, andere möglichst hart bestraft zu sehen, mit der autoritätsgebundenen Charakterstruktur zusammengeht. Diese ist eines der Elemente, aus denen die Massenbasis für totalitäre Regime sich zusammensetzt. Im Jahre 1909 antwortete Frank Wedekind auf eine Umfrage des später im Konzentrationslager ermordeten Erich Mühsam über die Todesstrafe, daß mit ihr »die zivilisierte Welt zu zwei Dritteilen noch auf unabsehbare Zeiten hinaus eines ihrer teuersten und kraftvollsten Schutzheiligtümer zu verlieren fürchtet«. Offenbar hat
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