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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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inhaltlich bestimmenden Motive ausgesagt, die diesen Gegensatz erzeugten und mit denen unsere Aufklärung vor allem zu rechnen hat. Transzendentalphilosophie und Unbewußtheitsphilosophien sind nicht als zwei verschiedene Möglichkeiten menschlichen Denkens geschichtslos und von einander unabhängig einander entgegengestellt, sondern ihre Antithesis ergibt sich aus der Geschichte notwendig, und erst die Einsicht in ihre wechselfältige geschichtliche Bezogenheit macht es möglich, den Sinn jener Antithetik zu erkennen und jene Antithetik aufzulösen. Das zentrale Motiv nun für die Bildung aller Philosophien des Unbewußten ist der Widerstand gegen die erste konsequente Bewußtseinsphilosophie: gegen die Lehre Kants. Die philosophischen Gehalte, die der Kantischen Kritik verfielen und sich einer Bewußtseinsphilosophie nicht einordnen lassen, rannen zusammen und bildeten Unbewußtheitsphilosophien; die Gehalte der nach den Forderungen der positiven Theologie konstituierten
dogmatischen
Philosophien sind es zumal, die sich zwar gegen die Kantische Kritik nicht naiv behaupten und den Forderungen philosophischer Kritik zugleich mit den theologischen zu genügen trachten können, die sich aber den sachlichen Ergebnissen der Kantischen Philosophie durch eine – gleichfalls philosophisch intendierte – Wendung ins Unbewußtsein zu entziehen wünschen. Zwar der Begriff des Unbewußten ist vor Kant geprägt. Alle metaphysischen Philosophien, die mit ontologischen Einteilungen der menschlichen »Erkenntnisvermögen« operieren, setzen als höchstes Erkenntnisvermögen ein solches an, das mehr ist als Bewußtsein, weil Bewußtsein uns keine absolute, sondern stets nur bedingte Erkenntnis liefere. Im Streit zwischen den Platonikern und Aristotelikern der italienischen Renaissancephilosophie und der inneraristotelischen Diskussion des Unsterblichkeitsbegriffs zwischen Averroisten und Alexandrinern prägt sich bereits vielfach ein ähnlicher Gegensatz aus wie zwischen Transzendentalphilosophie und Unbewußtheitsphilosophie; ähnlich zumal darin, daß die Differenz in den verschiedenen Weisen der Auffassungen von einer »rationalen Seelenlehre«, des Ansatzes von Substantialität und Immaterialität der Seele gelegen ist; wobei die Annahme unbewußter Seelenvermögen den Lehren der Hochscholastik, der Rekurs auf Bewußtseinseinheit als Faktum der Selbsterfahrung den erstmals sich ausprägenden Motiven der Naturwissenschaft und Naturphilosophie entspricht. Der Begriff des Bewußtseins selbst ist allerdings nicht entfernt scharf genug gefaßt, um die Fragestellung kritisch zu präzisieren. Spinozas Intuitionsbegriff dann, den die Unbewußtheitsphilosophien für sich in Anspruch nehmen, trachtet die theologisch-ontologische Annahme des obersten Erkenntnisvermögens mit dem modernen Begriff gesetzmäßiger Erkenntnis in Übereinstimmung zu bringen. Leibniz gar kennt ein inconscient, um den von der rationalen Psychologie – und freilich auch von der empirischen – geforderten Fortbestand der Seele unabhängig von den einzelnen Erlebnissen sicherzustellen und ist damit dem Kernproblem des Unbewußten bereits sehr nahe gekommen; ohne allerdings die unbewußten Tatbestände selbst einer erkenntnistheoretischen Analyse zu unterziehen. Eine solche Analyse hat – aus Gründen, die uns eingehend beschäftigen werden – auch Kant nicht durchgeführt. Ihr Fehlen gerade aber bot neben der zweideutigen Anwendung des Ding an sich-Begriffs den Gegnern der kritischen Philosophie die meisten Angriffspunkte; den theologischen zumal. Nicht zufällig richtet sich die protestantische Metakritik Herders sowohl wie die katholisch inspirierte Gegenposition der Jacobischen Glaubensphilosophie gerade gegen den Primat des Bewußtseins in der kritischen Philosophie; Jacobis Lehre bereits mit jenen pantheistischen Akzenten, die für die Folge die Philosophien des Unbewußten bis zum zeitgenössischen Intuitionismus und Vitalismus charakterisieren. – Es kann nicht die Aufgabe unserer allein sachlich intendierten Untersuchung sein, die Geschichte der Philosophien des Unbewußten seit Kant zu geben. Es ist uns auch nichts daran gelegen, diese Philosophien zu systematisieren. Da wir das historische Material allein zur klaren Formulierung unserer Sachprobleme heranziehen, so ist es uns wichtig vielmehr, die
sachlichen
Angriffspunkte der Philosophien des Unbewußten gegenüber Kant zu bezeichnen; mit anderen Worten die Stellen im Kantischen System zu treffen,

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