Gesammelte Werke
als Wirkungen schlechthin der Dinge ansprechen, während wir angesichts des stetigen und prinzipiell unabgeschlossenen Fließens unseres Bewußtseinsverlaufes die Phänomene nur insoweit als Wirkungen der Dinge betrachten dürfen, wie die Gesetze, unter denen wir den Erscheinungszusammenhang befassen und die ja wesentlich unsere »Dinge« sind, durch das Eintreten der unter ihnen befaßten Phänomene bestätigt werden. Wir wären dann in der Lage, das »Material« unseres Bewußtseinsverlaufes, nämlich unsere Erlebnisse, von dem »Geformten« prinzipiell zu sondern, da ja bei abgeschlossener Erfahrung unsere Dingbegriffe von jedem Rekurs auf etwaige zukünftige Erlebnisse unabhängig wären, und es stünde uns frei, die abgeschlossene Erfahrung als Tätigkeit zu interpretieren, die die flüchtigen Erscheinungen zu beständigen und erfahrungsunabhängigen Gegenständen verarbeitet, während in unserem tatsächlichen Bewußtseinsverlauf von einer solchen Verarbeitung keine Rede sein kann, weil ja einmal die Dinge nicht erfahrungsunabhängig beständig sind, andererseits aber auch die unabgeschlossene Mannigfaltigkeit der Erlebnisse stets Elemente in sich enthält, durch die uns ein Wissen von vergangenem und zukünftigem Sein gegeben ist; so daß phänomenales und dingliches Sein in einer dauernden Relation stehen, in der zwar allemal dingliches in phänomenalem Sein fundiert sein muß, in der sich aber »Material« und »Geformtes« darum nicht kontrastieren läßt, weil alle Elemente der »Formung« selbst im unmittelbar Gegebenen enthalten sind. Die Scheidung von Material und Geformtem setzt vollständige Gegebenheit des grenzenlosen Fortganges unserer Erfahrung voraus, und die Fassung des Erfahrungsfortganges als einer spontanen Erzeugung der Gegenstände durch das Bewußtsein ist nichts anderes als eine ganz illegitime, stets zu naturalistischen Setzungen verführende Metapher für das stetige gesetzmäßige Begründetsein unserer Erlebnisse in ihrem Zusammenhang; einem Zusammenhang, als dessen absolute Ursache eben die Spontaneität des Bewußtseins aufgefaßt wird. Sinngemäß wäre also auf den Begriff der Spontaneität Kants Antinomienlehre anzuwenden, und dem Satz: unser Bewußtseinsverlauf hat eine letzte, von aller Erfahrung unabhängige Ursache (nämlich die Spontaneität des Bewußtseins), ließe sich rechtmäßig der kontradiktorisch entgegengesetzte Satz gegenüberstellen und danach beweisen, daß die Aufstellung beider Sätze die »Grenzen der Möglichkeit von Erfahrung« überschreitet und darum der Vernunftkritik verfällt. Einzig die dogmatische Voraussetzung der praktischen für die theoretische Philosophie, die die positive Behauptung der »Freiheit« des Subjekts auch für die Erkenntnistheorie notwendig macht, ohne daß dieser Freiheit durch eine Analyse der Willenshandlungen nachgefragt wäre (welche Analyse ihres empirischen Charakters wegen dem Verdikt von Kants rationalistischem Apriorismus verfiele) – allein jene dogmatische Voraussetzung macht es verständlich, daß Kant den Begriff der Spontaneität positiv angewandt und der Probe durch die transzendentale Dialektik entzogen hat.
Die Einsicht in den prinzipiell transzendenten Charakter der innerkantischen Ansatzbegriffe für die Philosophie des Unbewußten liefert uns einen ersten wichtigen Gesichtspunkt für die Erörterung der immanenten Problematik der Lehren vom Unbewußten. Indem wir erkennen, daß an all den Stellen des Kantischen Systems Raum für einen Begriff des Unbewußten ist, an denen die Grenze der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt überschritten ist, ist uns der Weg für die immanente Kritik jener Lehren vorgezeichnet und in eins damit der Zusammenhang der immanenten Kritik mit einer folgerecht transzendentalen gegeben. Die Aufgabe unserer immanenten Kritik ist es, Widersprüche oder Unstimmigkeiten in der erkenntnistheoretischen Struktur der Lehren vom Unbewußten aufzudecken oder aber auf ihren verborgenen transzendentalen Grund zu dringen. Gelingt uns das erste, so wird es uns nicht erstaunen dürfen, wenn die immanenten Widersprüche der Lehren vom Unbewußten sich zurückführen lassen auf die Bestimmungen von Kants transzendentaler Dialektik: wenn die Widersprüche, auf die wir stoßen, sich darstellen als bedingt durch eben die illegitime Überschreitung des Erfahrungsbereichs. Die eigentliche Rechtfertigung unseres Ausganges vom Widerspruch der Unbewußtheitslehre gegen Kant wird darin liegen, daß die
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