Gesammelte Werke
Rede gegenüber dem bewegten Fluß der Erlebnisse dem herrschenden Sprachgebrauch völlig zuwiderliefe und überdies die Rede von der Unzerstörbarkeit sinnlos wäre, die von vornherein nur auf dingliches Sein bezogen werden kann. Unmittelbar Gegebenes ist an die als Gegenwart erlebte Zeitspanne gebunden; zwar nicht »zerstörbar«, aber doch nicht unabhängig von der Wahrnehmung dauernd, da es mit seiner Wahrnehmung, im Gegensatz zu jeglicher Akttheorie, identisch ist. Die dinglichen Zusammenhänge sind zwar im Rahmen der Gültigkeit der sie beschließenden Individualgesetze beharrlich, aber nicht unzerstörbar; werden die im Gesetz zusammengefaßten Erwartungen enttäuscht, so sieht sich das erkennende Bewußtsein vor dem Problem, ein höheres Gesetz aufzufinden, das die Enttäuschung der betreffenden Erwartung erklärt; mit anderen Worten: die Ursache der Veränderung anzugeben. – Das Ich selber nun ist nicht nur die Summe seiner Erlebnisse, sondern zugleich der Inbegriff ihrer Beziehungen untereinander. Als oberste dingliche Einheit der einzelnen Gesetzmäßigkeiten des Immanenzzusammenhanges – entsprechend dem Begriff »materielle Welt« – ist das Ich beharrlich, aber in seinem Bestand gebunden an das Eintreten der Erscheinungen, die von dem Individualgesetz »empirisches Ich« gefordert werden. Das empirische Ich ist aber das Individualgesetz, das erheischt, daß überhaupt der phänomenale Zusammenhang, den es unter sich befaßt, als ein gesetzmäßiger und beharrlicher bestehe. Ob diese Forderung erfüllt wird oder nicht, hängt einzig davon ab, ob Phänomene auftreten, die sich als Phänomene jenes Zusammenhanges charakterisieren, oder nicht. Von einer »Unzerstörbarkeit« des empirischen Ich kann sonach keine Rede sein. Da aber zugleich die seinen Zusammenhang konstituierenden Faktoren alle Erkenntnis insgesamt konstituieren und ein Sein unabhängig von ihnen nicht gedacht werden kann, so ist auch über die Zerstörbarkeit des Ich keine positive Aussage möglich. Das Kantische Resultat der Unbeweisbarkeit und Unwiderleglichkeit der Unsterblichkeit bleibt sonach bestehen. Es läßt sich allerdings, im Gegensatz zur Kantischen Untersuchung, prüfen erst auf Grund der Anwendung der Begriffe der zweiten Kategorie. Denn der Begriff des Ich, nach dessen Sterblichkeit und Unsterblichkeit hier zu fragen ist, konstituiert sich auf Grund von solchen Begriffsbildungen. Über das metaphysische Problem der Bedeutung der transzendentalen Faktoren
unabhängig
von der realen Gegebenheit von Erlebnissen, mit anderen Worten: unabhängig vom empirischen Ich, ist hier nicht zu reden.
Mit der Konstitution des Erfahrungsbegriffs des Ich sind die letzten Unklarheiten, die dem Ichbegriff nach der Diskussion der Kantischen Paralogismenlehre noch anhaften mochten, definitiv beseitigt. Es gilt nun aufzuklären, wie das Ich, als Substrat der transzendentalen Psychologie, sich zur materiellen Welt seiner Konstitution nach verhalte.
Ausgang des Problems ist: daß das empirische Ich, als Inbegriff des Immanenzzusammenhanges schlechthin, auch alle einzelnen Erlebnisse unter sich befaßt und damit auch die sinnlichen Data, die Mannigfaltigkeit der Sinneseindrücke, deren gesetzmäßiger Zusammenhang die Raumwirklichkeit ergibt, von der nach der landläufigen Auffassung das Ich durch einen »Abgrund des Sinnes« getrennt ist. Dagegen muß zunächst daran erinnert werden, daß »der Gegensatz« zwischen der objektiven räumlichen Welt und der subjektiven Welt, den »subjectiven Erlebnissen unseres Bewußtseins«, »kein ursprünglich gegebener, sondern ein im Laufe unserer Entwicklung entstandener« 13 ist; wobei nicht sowohl an die biologisch-historische Genesis, als vielmehr an die sinnausweisende Begründung der ersteren durch die letztere gedacht werden muß. Das Verhältnis zwischen beiden ist so zu verstehen, daß »die objectiven Gegenstände ... nur bestimmte Begriffsbildungen« sind, »durch welche die gesetzmäßige Verknüpfung eines
Teiles
jener subjectiven Erlebnisse – der sinnlichen Wahrnehmungen – hergestellt wird« 14 . Damit ist der vermeintlich ontologische Unterschied zu einem Unterschied der Begriffsbildungen geworden; die Raumdinge sind partielle, die objektiven Zusammenhangsformen des Bewußtseins allgemeine Begriffsbildungen, denn »die
Gesamtheit
dieser subjectiven Erlebnisse ..., wie dieselben jedem von uns unmittelbar bekannt und gegeben sind, steht ihrerseits in einem bestimmten Zusammenhange, ... den
Weitere Kostenlose Bücher