Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
Michajlow fort. »Aber immerhin besser als eine Fackel. Oder ein Kienspan. Haben Sie schon mal etwas von einem Kienspan gehört?«
»Nein«, erwiderte Swanzew.
»Es gibt da ein altes Lied: ›Kleiner Kienspan, brenn herab.‹ Früher habe ich immer angenommen, das wäre so etwas wie ein Generator.«
»Jetzt verstehe ich auch, wieso es dauernd regnet«, sagte Swanzew nach kurzem Schweigen. »Oder anders: weshalb die Mikrowetteranlagen ausgeschaltet sind.«
»Nein, nein«, erwiderte der Techniker. »Die Wetteranlagen sind eine Sache – den Regen schicken sie uns speziell von den Windhügeln. Dort haben sie eine Kontinentalanlage.«
»Wozu denn das?«, fragte Swanzew.
»Zum Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung.«
»Und die Spannung in der Atmosphäre?«
»Die hat hier keinen Einfluss mehr. Die elektrische Entladung erfolgt unterwegs. Überhaupt hat sich das Experiment in viel größeren Dimensionen entwickelt, als wir anfangs angenommen haben. Sämtliche Spezialisten für Biocodierung haben sich bei uns versammelt, Fachleute aus der ganzen Welt. An die fünfhundert Mann, trotzdem reicht es nicht. Obwohl zusätzlich der gesamte nördliche Ural für uns arbeitet.«
»Läuft bisher alles zur Zufriedenheit?«, erkundigte sich Swanzew.
Der Techniker schwieg.
»Nun?«, hakte Swanzew nach.
»Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben«, erwiderte Michajlow zögernd. »Wir hoffen, dass alles zufriedenstellend verläuft. Die Methode ist zertifiziert, aber es ist der erste Versuch am Menschen. Hundertzwanzig Trillionen Megabit Informationseinheiten – wobei schon ein Fehler in einem einzigen Bit zu großen Verzerrungen führen kann.«
Michajlow verstummte, und sie gingen eine Zeit lang schweigend nebeneinanderher. Swanzew bemerkte nicht sofort, dass sie eine Siedlung passierten. Sie lag da wie ausgestorben. Schwach und matt schimmerten die Fenster der kleinen Häuser, nirgends brannte Licht. Hinter den engmaschigen Zäunen im nassen Gesträuch gähnten hier und da die schwarzen Löcher weit geöffneter Garagentore.
Michajlow hatte bald vergessen, dass Swanzew neben ihm herlief. Noch sechs Stunden, dachte er, dann ist alles vorbei. Ich gehe nach Hause und lege mich schlafen. Der »Große Versuch« wird abgeschlossen sein. Der berühmte Okada ist tot und wird unsterblich. Doch erst die Zeit wird zeigen, ob das Experiment geglückt ist. Nicht einmal Casparo kann das vorhersagen – der Große Casparo … der Große Okada, der »Große Versuch«! Die »Große Codierung«. Michajlow schüttelte heftig den Kopf, um die Schwere abzustreifen, die sich erneut seiner Lider bemächtigte und seinen Geist einzunebeln drohte. Ach was, nachdenken muss man, ermahnte er sich. Nicht von ungefähr hat Casparo gesagt, dass schon jetzt darüber nachgedacht werden soll. Und zwar von jedem, auch von den Technikern, obwohl unsereins ja nicht allzu beschlagen ist. Doch was Casparo sagt, gilt. Valerio Casparo – im täglichen Umgang einfach Waleri Konstantinowitsch genannt. Es ist lustig, wenn er plötzlich während der Arbeit durch den ganzen Saal ruft: »Pause! Wir sitzen jetzt ein Weilchen so da und starren einfach vor uns hin!« Den Satz hat er mal irgendwo gelesen. Stellte man ihm in einem solchen Augenblick eine Frage, würde er antworten: »Junger Mann, Sie sehen doch, dass ich einfach dasitze und vor mich hin starre. Also stören Sie mich nicht.« Michajlow unterbrach seinen Gedankengang. Wieder hatte er sich ablenken lassen! Also dann, sagte er sich, vergegenwärtigen wir uns die Aufgabe: Ein Komplex physiologischer Neuronenstrukturen (im Klartext – ein lebendes Gehirn) soll in harter Codierung nach dem dritten System von Casparo-Karpow auf eine kristalline Quasibiomasse übertragen werden. Bei entsprechender Isolierung und normalem Lärmpegel bleibt eine harte Codierung ziemlich lange erhalten – die Relaxationsspanne liegt bei ungefähr zwölftausend Jahren. Genügend Zeit also. Wir müssen nun eine Methode finden, um die codierte Biomasse auf ein lebendes Gehirn rückzuübertragen, das heißt auf einen Komplex physiologisch funktionstüchtiger Neuronen im Null-Zustand. Freilich, dafür braucht man ein lebendes Gehirn, das sich im Null-Zustand befindet – aber für solche Experimente haben sich noch immer Freiwillige gefunden, und das wird auch in Zukunft so sein. Ich zum Beispiel wäre so ein Freiwilliger … Ach Unsinn, sie würden’s ja doch nicht erlauben. Von einem lebenden Gehirn will Casparo, dieser komische Kauz,
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