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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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du?«
    »Ich höre nichts«, murmelte Robert und zwinkerte mit den Wimpern, um Tanjas Handfläche zu kitzeln. Alles andere war in die Ferne gerückt und überflüssig. Patrick, der ständig vor Übermüdung umzufallen drohte, war weit weg. AuchMaljajew, der sich immer benahm wie eine Eis-Sphinx, war fern. Diese ganze Welt des Hastens und der Eile, der ausgeklügelten Dispute und der ewigen Unzufriedenheit und Besorgnis, diese ganze gefühlstote Welt, in der man die Klarheit verachtete und nur am Unverständlichen Gefallen fand, in der die Menschen vergaßen, dass sie Männer und Frauen waren – das alles befand sich weit weg … Hier gab es nur die nächtliche Steppe, Hunderte Kilometer weit nichts als Steppe; sie hatte den heißen Tag geschluckt und war warm und voller undefinierbarer, erregender Düfte.
    Abermals schrillte das Signal.
    »Schon wieder«, sagte Tanja.
    »Lass nur. Ich bin nicht da. Ich bin gestorben. Mich haben die Spitzmäuse gefressen. Ich fühle mich sehr wohl. Ich liebe dich. Nirgends will ich hingehen. Warum auch? Würdest denn du gehen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Weil du nicht genügend liebst. Ein Mensch, der genügend liebt, geht niemals irgendwohin.«
    »Theoretiker«, sagte Tanja.
    »Ich bin kein Theoretiker. Ich bin Praktiker. Und als Praktiker frage ich dich: Warum sollte ich plötzlich irgendwohin gehen? Lieben ist eine Fähigkeit. Ihr aber seid nicht fähig dazu. Ihr fachsimpelt bloß über die Liebe. Ihr liebt die Liebe nicht. Ihr liebt es nur, über sie zu reden. Schwatze ich sehr viel Unsinn?«
    »Ja. Furchtbar viel.«
    Er nahm ihre Hand von seinen Augen und legte sie sich auf die Lippen. Jetzt sah er den wolkenverhangenen Himmel und die roten Positionslichter am Turmgerüst in zwanzig Metern Höhe.
    Das Signal schrillte ununterbrochen, und Robert stellte sich Patrick vor, wie er ärgerlich auf die Signaltaste drückte und beleidigt seine gutmütigen dicken Lippen vorstülpte.
    »Ich werde dich gleich mal abschalten«, murmelte Robert. »Tanja, willst du, dass ich ihn für immer zum Schweigen bringe? Alles müsste für immer sein. Wir würden uns für immer lieben, und er würde für immer schweigen.«
    In der Dunkelheit konnte er ihr Gesicht erkennen, es war hell, mit großen, glänzenden Augen. Sie zog ihre Hand weg und sagte: »Vielleicht sollte ich mit ihm sprechen? Ich erzähle ihm, ich sei eine Halluzination – nachts kommt das ja ständig vor.«
    »Er hat keine Halluzinationen, Tanja. Das ist ein Mensch, der sich nie etwas vormacht.«
    »Soll ich dir sagen, wie er ist? Ich liebe es nämlich, den Charakter eines Menschen über Videofon zu erraten. Er ist halsstarrig, böse und taktlos. Um nichts auf der Welt würde er nachts mit einer Frau in der Steppe sitzen wollen. So einer ist das, ohne jeden Zweifel. Von der Nacht weiß er nur, dass sie dunkel ist.«
    »Nein«, widersprach Robert, der gerecht sein wollte. »Was das Sitzen nachts in der Steppe angeht, hast du recht. Aber er ist gutmütig, weichherzig und phlegmatisch.«
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte Tanja. »Hör doch mal hin.« Sie lauschten. »Nennst du das etwa phlegmatisch? Das ist ein ausgesprochener Dickkopf.«
    »Ist das dein Ernst? Das erzähle ich ihm.«
    »Bitte. Geh hin und sag es ihm.«
    »Jetzt gleich?«
    »Auf der Stelle.«
    Robert stand auf. Tanja blieb sitzen, die Arme um die Knie geschlungen.
    »Gib mir erst einen Kuss«, bat sie.
    Im Fahrstuhl presste er seine Stirn gegen die kühle Wand und stand so einige Zeit mit geschlossenen Augen da. Er lächelte und leckte sich über die Lippen. In seinem Kopf war kein einziger klarer Gedanke. Aber in seinem Innern sang eine triumphierende Stimme: »Sie liebt mich! Mich! Mich liebt sie! Da könnt ihr mal sehen! Mich!« Dann stellte er fest, dass der Lift längst hielt, und versuchte, die Tür zu öffnen. Doch er fand sie nicht gleich. Im Labor schienen allzu viele Möbel herumzustehen, denn er riss Stühle um, stolperte über Tische und stieß sich an Schränken, bis ihm klar wurde, dass er vergessen hatte, das Licht anzumachen. Er brach in lautes Gelächter aus, tastete nach dem Schalter, richtete die Sessel wieder auf und setzte sich schließlich ans Videofon.
    Als Patrick, verschlafen wie immer, auf dem Bildschirm erschien, begrüßte Robert ihn freundlich: »Guten Abend, du Ferkelchen! Wieso schläfst du denn noch nicht, du, meine kleine Meise, meine Bachstelze?«
    Patrick sah ihn verdutzt an und zwinkerte dauernd mit den entzündeten

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