Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
Entschließungsteil aus dem Buch zu werfen, nur die Problemstellung zu behalten, aber er wollte Blut sehen. ›Kurzum, Sie stehen auf dem Standpunkt von Maria?‹, fragte ich. ›Ja‹, sagte er geradezu. Da war mir zum Lachen und zum Fürchten …
Mir war zum Fürchten, weil Melentjew zu diesem Zeitpunkt so gut wie im ZK war und ich ihn schon als einen Mann aus der Regierung betrachtete, und dieser Mann aus der Regierung nimmt offen, vor allen Leuten den Standpunkt eines politischen Extremismus ein, der bereit ist, sich einzumischen, einzumarschieren, jeden Staat, dessen System seiner Ideologie widerspricht, nach dem eigenen Vorbild umzumodeln. Er war ein offener und sich im Recht fühlender Anhänger des Revolutionsexports »auf den Spitzen der Bajonette«. Und mir war zum Lachen, weil das ganze Hin und Her ja überhaupt erst aufgekommen war, weil die dumme Zensorin uns vorgeworfen hatte, wir würden just den Revolutionsexport befürworten. Der Verlagsleiter verlangte von den Autoren das, was die Zensur für unzulässig hielt.
(Dieser Widerspruch war zweifellos die Folge des unwahrscheinlichen ideologischen Kuddelmuddels, das schon seit den Zwanzigerjahren in den Köpfen der Obrigkeit herrschte. Einerseits war der bewaffnete Revolutionsexport eine Idee Trotzkis und wurde offiziell aufs Entschiedenste verdammt. Andererseits hatte sich die ganze politische Praxis – immer! – auf ebendiese Doktrin gestützt, und gerade Mitte der Sechzigerjahre war die unsichtbare Invasion der UdSSR in Afrika und Lateinamerika in vollem Gange.)
Damit hatte das Drama eigentlich sein Ende. Und wie es schien, zur allgemeinen Zufriedenheit. Die Zensorin wurde überzeugt, ihr Placet zu geben. Melentjew ging ins Große ZK und sagte zum Abschied, der einzige dunkle Fleck, den er zurücklasse, seien »Die gierigen Dinge des Jahrhunderts«. Die Autoren waren der Überzeugung, sie seien mit einem blauen Auge davongekommen.
Doch einen Monat später schrieb mir Arkadi:
Die »Gierigen Dinge« sind noch ein wenig verunstaltet worden und endlich in Druck gegangen. Ich habe gegenüber diesem armen Roman schon eine Art Ekel entwickelt, er ist zu sehr von schmutzigen Händen begrapscht worden, und das wird nie wieder abgehen …
Und noch ein paar Monate später, nachdem das Buch erschienen war, schrieb Boris:
Ich höre viel über die »Gierigen Dinge« reden. Es geht jedes Mal nach dem Muster: »Das ist gut gemacht, aber …« Entgegen unserer Erwartung haben die meisten eben nicht begriffen, dass sich die Zensur ausgetobt hat – alle Schwachstellen werden uns angerechnet …
O ja, die ideologischen Instanzen kannten ihr Geschäft! Sie verstanden es, einen Text zu verwandeln , und sie verwandelten ihn in etwas Mittelmäßiges, und zwar durch die Hände der Autoren selbst. Die Intention der Autoren wurde abgeschliffen. Aus Schwarz wurde Grau, aus Weiß ebenfalls. Die Schärfe des Werks ging zu einem erheblichen Teil verloren, gleichzeitig bot der Text aber weiterhin Angriffspunkte. Und so schoss auf »Die gierigen Dinge des Jahrhunderts« nach einiger Zeit die schwerste Artillerie – die Zeitschrift Kommunist , das wichtigste theoretische und ideologische Organ des ZK der KPdSU. Das war unvermeidlich – die Autoren hatten einen Anschlag auf eine der fundamentalsten Thesen der kommunistischen Propaganda verübt – sie hatten eine kapitalistische Welt dargestellt, die im Überfluss versank, und keinerlei Korrekturen und Vorbehalte konnten diese skandalöse Tatsache verdecken …
Paradoxerweise bin ich erst in neuerer Zeit, als ich den Text wieder einmal für eine Veröffentlichung vorbereitete, mit einem der Verleger aneinandergeraten, und zwar – was bemerkenswert ist! – mit einem Menschen, der selbst schreibt, ein kluger Kopf und ein großer Kenner und Liebhaber der Strugatzkis ist. Ich hatte natürlich alle seinerzeit unter Zwang eingefügten Zusätze aus dem Text gestrichen; er war wieder so (oder fast so), wie er im November 1964 aus der Schreibmaschine gekommen war. Doch plötzlich zeigte sich, dass viele von den heutigen Lektoren, die von Kindheit an an den alten, geschönten und verhunzten Text gewöhnt sind, sich um keinen Preis von ihm trennen wollen! Ich wurde auf jede mögliche Art gebeten, den Text zu lassen, wie er ist, oder wenigstens teilweise oder zumindest das und das … Wahrlich, allen kann man es nicht recht machen. Ich verstand sie, ich schätzte ihre Gefühle und Absichten, ließ mich aber nicht überreden. Alles,
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