Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
eigentlich gar nichts. Erzählen Sie, es interessiert mich.«
»Nichts da! Bei uns wird nicht gequatscht. Und ich schon gar nicht. Wir machen es kurz – bring her, räum weg, zeig die Zähne, schweig. Berufsgeheimnis. Schon mal was davon gehört?«
»Hab ich«, sagte ich. »Und wo ist das, ›bei uns‹? In einer Artzpraxis?«
Sie schien das ungeheuer komisch zu finden. »In einer Arztpraxis! Ausgerechnet …«, antwortete sie lachend. »Aber du bist kein übler Typ, bist schlagfertig. Bei uns im Büro haben wir auch so einen. Sobald er den Mund aufmacht, biegen sich alle vor Lachen. Wenn wir Fischer zu bedienen haben, wird er eingesetzt. Fischer sind gerne lustig.«
»Trifft das nicht auf jeden zu?«, fragte ich.
»Keineswegs. Die Intels zum Beispiel haben ihn fortgejagt. ›Schafft uns den Dummkopf vom Hals‹, haben sie gesagt … Oder heute, bei den schwangeren Kerlen …«
»Bei wem?«
»Na, bei den Trauerklößen. Hör mal, ich glaube, du kapierst gar nichts. Wo kommst du eigentlich her?«
»Aus Wien«, sagte ich.
»Und? Gibt es bei euch keine Trauerklöße?«
»Sie können sich gar nicht vorstellen, was es in Wien alles gibt – oder nicht gibt!«
»Habt ihr etwa auch keine irregulären Versammlungen?«
»Bei uns sind alle Versammlungen regulär. Wie Buslinien.«
Sie amüsierte sich. »Und Kellnerinnen?«
»Die gibt es. Da gibt es sogar regelrechte Prachtexemplare. Sie sind denn Kellnerin?«
Sie sprang auf. »Nein, mein Lieber, so geht das nicht!«, schrie sie. »Genug Trauerklöße für heute! Du wirst jetzt schön brav mit mir Brüderschaft trinken.« Sie stieß unter dem Fensterbrett eine Flasche nach der anderen um. »Ihr Schufte, alles leer. Trinkst du womöglich nichts? Aha, da ist noch ein bisschen Wermut. Willst du Wermut? Oder soll ich Whisky bestellen?«
»Fangen wir mit Wermut an«, schlug ich vor.
Sie knallte die Flasche aufs Tischchen und nahm zwei Gläser vom Fensterbrett.
»Die muss ich ausspülen, Moment, alles dreckig!« Sie verschwand im Badezimmer und sprach von dort weiter: »Wenn du jetzt auch noch ein Nichttrinker gewesen wärst, ich weiß nicht, was ich mit dir gemacht hätte … Gott, was für ein Saustall im Badezimmer, wie ich das liebe! Wo hast du dich einquartiert, auch hier?«
»Nein, in der Stadt«, antwortete ich. »In der Zweiten Vorortstraße.«
Sie kehrte mit den Gläsern zurück.
»Mit Wasser oder pur?«
»Bitte pur.«
»Alle Ausländer trinken pur. Bei uns trinkt man komischerweise mit Wasser.« Sie setzte sich auf die Armlehne meines Sessels und legte den Arm um mich. Sie hatte eine starke Fahne. »Na dann, auf ›du‹ …«
Wir tranken und küssten uns völlig lustlos. Ihre Lippen waren stark geschminkt, die Lider schwer vor Müdigkeit; anscheinend hatte sie die letzte Nacht nicht geschlafen. Sie stellte das Glas ab, suchte sich im Aschenbecher noch eine Kippe und ging hinüber zur Liege.
»Wo dieser Riemaier bleibt!«, beschwerte sie sich. »Sollen wir hier ewig warten? Kennst du ihn schon lange?«
»Nein, nicht sehr lange.«
»Er ist ein Aas«, sagte sie überraschend gehässig. »Erst hat er alles ausgekundschaftet, und jetzt versteckt er sich. Er macht nie auf, der Hund, und nimmt auch nicht den Hörer ab. Was meinst du, ist er ein Spitzel?«
»Was für ein Spitzel?«
»Ach, davon gibt es viele … Aasgeier … aus der ›Gesellschaft der Enthaltsamen‹, alles Moralprediger … Diese ›Kenner‹ oder ›Sachverständigen‹ sind auch ganz schöne Dreckskerle …«
»Nein. Riemaier ist ein anständiger Mensch«, sagte ich mit einiger Mühe.
»Anständig … Ihr seid alle anständig. Am Anfang. Riemaier war auch anständig, spielte den Gutmütigen und Lustigen … Und jetzt? Zieht er ein Gesicht wie ein Krokodil!«
»Der Arme«, sagte ich. »Gewiss ist ihm seine Familie wieder eingefallen, und nun schämt er sich.«
»Er hat gar keine Familie. Und überhaupt. Ach, zum Teufel mit ihm! Soll ich dir noch einen einschenken?«
Wir tranken erneut.
Sie legte sich hin und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Dann sagte sie: »Lass dir nicht die Laune verderben. Pfeif drauf. Wein haben wir genug, wir werden tanzen, zum Bibberlein gehen … Morgen ist Fußball, da setzen wir auf die ›Stiere‹ …«
»Ich lass mir nicht die Laune verderben. Wenn auf die ›Stiere‹, dann eben auf die ›Stiere‹.«
»Ach, diese ›Stiere‹! Das sind Jungs! Ich kann mich an ihnen nicht sattsehen … Arme wie aus Eisen, schmiegst du dich an sie, ist
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