Gesammelte Werke 6
Luken der Zisterne züngelten gelbe Flammen. Die Gesichter der Feuerwehrleute unter den übergestülpten Helmen waren mutig und streng. Eine Kinderschar hüpfte um die Kavalkade herum; die Kinder schrien gellend: »Tirila, tirili, zwang’n den Drachen in die Knie!« Die Passanten drückten sich ängstlich an die Zäune. Man sah ihnen an, dass sie um ihre Kleidung fürchteten.
»Da schaffen sie den Guten mal wieder weg«, sagte dicht an meinem Ohr eine bekannte raue Bassstimme.
Ich drehte mich um. Hinter mir stand, betrübt, Naina Kiewna mit einem Netz voller dunkelblauer Zuckertüten.
»Da schaffen sie ihn weg«, wiederholte sie. »Jeden Freitag muss er hinaus.«
»Wohin denn?«, fragte ich.
»Aufs Versuchsgelände, mein Guter. Immerzu experimen tieren sie, als hätten sie nichts Besseres zu tun.«
»Und wen schaffen sie da weg, Naina Kiewna?«
»Na, wen schon? Hast du keine Augen im Kopf?«
Sie drehte sich um und ging weiter, ich aber eilte ihr nach.
»Naina Kiewna, für Sie ist ein Fernspruch durchgegeben worden.«
»Von wem denn?«
»Von Ch. M. Wij.«
»Und worum geht’s?«
»Sie haben heute ein Treffen«, erklärte ich und sah sie dabei scharf an. »Auf dem Kahlen Berg. Erscheinen in Paradeuniform.«
Die Alte war sichtlich erfreut.
»Wirklich?«, fragte sie. »Das ist aber schön! Und wo hast du den Fernspruch?«
»Er liegt im Flur, auf dem Telefon.«
»Steht auch was von Mitgliedsbeiträgen drin?«, erkundigte sie sich mit gesenkter Stimme.
»Wie meinen Sie das?«
»Na, wegen Nachzahlung der Rückstände seit siebzehnhundert …« Sie verstummte.
»Nein«, antwortete ich. »Davon steht nichts drin.«
»Umso besser. Aber wie komme ich dorthin? Schicken sie einen Wagen oder was?«
»Geben Sie mir das Netz, ich trag es Ihnen«, schlug ich vor.
Die Alte fuhr zurück.
»Was willst du damit?«, fragte sie misstrauisch. »Lass das mal schön sein, so was mag ich nicht. Mein Netz will er haben! Du fängst ja früh an …«
Und ich mag keine alten Weiber, dachte ich.
»Wie komme ich also dorthin?«, wiederholte sie.
»Das geht auf eigene Kosten«, sagte ich schadenfroh.
»Ach, diese Knicker!« Die Alte ächzte. »Den Besen haben sie ins Museum getragen, der Mörser wird nicht repariert, an Beiträgen verlangen sie fünf Rubel in Papiergeld, aber anreisen darf man auf eigene Kosten! Und die Kosten sind nicht von Pappe, mein Guter, wenn da noch das Taxi warten soll …«
Brabbelnd und hüstelnd drehte sie sich um und ging. Ich rieb mir die Hände und ging ebenfalls meiner Wege. Meine Vermutungen schienen sich zu bestätigen, und der Knoten aus merkwürdigen Ereignissen zog sich immer fester zusammen. Ich schäme mich fast es zuzugeben, aber in dem Moment fand ich das Ganze noch äußerst interessant – viel interessanter als das Modellieren eines Reflexbogens.
Der Prospekt des Friedens hatte sich geleert. An der Kreuzung tummelten sich Kinder, die, wie mir schien, mit einem Stöckchenspiel beschäftigt waren. Bei meinem Anblick brachen sie das Spiel ab und kamen auf mich zu. Nichts Gutes ahnend, ging ich rasch in Richtung Zentrum an ihnen vorbei. Hinter mir hörte ich noch einen Schrei unterdrückter Begeisterung:»Ein Modefatzke!« Ich legte einen Schritt zu. »Modefatzke!«, grölten mehrere Stimmen im Chor. Ich bewegte mich fast schon im Laufschritt, als es hinter mir kreischte: »Ein Modefatzke in Röhrenhosen! Papas ›Pobeda‹ …!« Die Passanten bedachten mich mit mitleidigen Blicken. In solchen Situationen macht man sich am besten aus dem Staub; ich verschwand also im nächsten Laden. Es war ein Lebensmittelgeschäft … Ich ging an den Ladentischen vorbei und stellte fest, dass es Zucker gab, aber wenig Auswahl an Wurst oder Konfekt; das Angebot an sogenannten Fischwaren allerdings übertraf alle Erwartungen. Was gab es da für Salme, was gab es für Lachse! Ich trank ein Glas Sodawasser und warf einen vorsichtigen Blick auf die Straße. Die Kinder waren weg. So trat ich wieder aus dem Geschäft und ging weiter. Die Kornspeicher und die hinter hohen Zäunen verschanzten Blockhütten wurden bald von modernen zweistöckigen Häusern mit offenen Vorgärten ab gelöst. In den Vorgärten tummelten sich kleine Kinder, alte Frauen strickten warme Sachen, und alte Männer spielten hingebungsvoll Domino.
Im Stadtzentrum befand sich ein großer, von zwei- und dreistöckigen Gebäuden umsäumter Platz. Er war asphaltiert und in der Mitte begrünt. Aus dem Grün ragten ein großes rotes
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