Gesammelte Werke 6
Brett mit der Aufschrift »Unsere Besten« und ein paar kleinere Tafeln mit Übersichtsplänen und Diagrammen. Auch die Post entdeckte ich. Mit den Jungs hatte ich ausgemacht: Wer zuerst in der Stadt ist, hinterlässt postlagernd seine Koordinaten. Da keine Nachricht für mich vorlag, hinterlegte ich einen Brief, in dem ich meine Adresse angab und den Weg zur Hütte auf Hühnerbeinen beschrieb. Dann beschloss ich zu frühstücken.
Bei meinem Rundgang um den Platz entdeckte ichein Kino, in dem der Film Kozara lief; einen Buchladen, der wegen Inventur geschlossen war; den Stadtsowjet, vor dem ein paar gründlich eingestaubte Lkw der Marke »Gas« standen; das Hotel »Zum kalten Meer«, in dem wie üblich keine Betten frei waren; zwei Kiosks mit Sodawasser und Eis; das Geschäft Nummer zwei (Industriewaren) und das Geschäft Nummer achtzehn (Haushaltsartikel); die Kantine Nummer elf, die erst um zwölf Uhr aufmachte, und das Büfett Nummer drei, das ohne Angabe von Gründen geschlossen war. Dann gelangte ich zum Städtischen Milizrevier, an dessen offener Tür ich mich mit einem blutjungen Milizionär im Rang eines Sergeanten unterhielt; er erklärte mir, wo ich tanken konnte und wie ich nach Leshnjowo kam.
»Wo haben Sie denn Ihren Wagen abgestellt?«, erkundigte sich der Milizionär und sah sich auf dem Platz um.
»Bei Bekannten«, erwiderte ich.
»Aha, bei Bekannten …«, sagte der Milizionär spitz. Ich glaube, ich kam ihm verdächtig vor. Verlegen verabschiedete ich mich.
Neben dem klotzigen dreistöckigen Gebäude des »Kon sumverbandes für die Versorgung der Bevölkerung mit Salz fischen« entdeckte ich endlich die gemütliche kleine Tee stube Nummer sechzehn-siebenundzwanzig. Die Teestube war ganz nach meinem Geschmack – nicht überfüllt, die Gäste tranken tatsächlich Tee und sprachen über ganz konkrete Dinge: zum Beispiel, dass die Brücke bei Korobez schlussendlich eingebrochen war und man jetzt durch die Furt fahren musste; dass der Verkehrsposten am Kilometer fünfzehn schon seit einer Woche nicht mehr besetzt war; dass der »… Zündfunke einen Elefanten umgehauen hätte, aber sich trotzdem nichts gerührt« habe. Es roch nach Benzin und nach gebratenem Fisch. Die nicht in Gespräche vertieften Gäste betrachteten gelegentlich meine Jeans, und ich war heilfroh, dass hinten drauf ein großer Fleck prangte – vor zwei Tagen hatte ich mich geschickt auf eine Fettpresse gesetzt.
Ich ließ mir einen Teller gebratenen Fisch, drei mit gedörrtem Stör belegte Brote und drei Gläser Tee bringen und zahlte mit dem Kleingeld von der Alten (»Warst wohl betteln?«, murrte die Büfetteuse). Dann setzte ich mich in einen stillen Winkel, machte mich übers Essen her und sah mich zufrieden unter all den Leuten mit ihren heiseren, rau chigen Stimmen um. Es war wohltuend, den sehnigen, braun gebrannten und selbstbewussten Männern zuzusehen, die weit herumgekommen waren und jetzt mit Genuss aßen, rauchten und erzählten. Sie kosteten diese Rast vor der langweiligen Fahrt, dem stundenlangen Gerüttel in stickigen Kabinen, dem Staub und der Sonne voll aus. Wäre ich nicht Programmierer gewesen – ich hätte mich für mein Leben gern als Kraftfahrer verdingt. Dabei schwebte mir kein schäbiger Pkw, ja nicht mal ein Bus vor, sondern einer dieser schweren Brummer, bei denen man zum Einsteigen eine Leiter und für den Radwechsel einen Kran braucht.
Am Nebentisch saßen zwei junge Männer, die nicht wie Kraftfahrer aussahen, sodass ich sie anfangs nicht weiter beachtete. Sie mich übrigens auch nicht. Als ich beim zweiten Glas Tee angelangt war, schnappte ich jedoch das Wort »Kanapee« auf. Dann sagte einer der beiden: »Aber dann verstehe ich nicht, wozu die Hüahü überhaupt da ist …«
Ich spitzte die Ohren. Leider sprachen sie nicht laut genug, und obendrein kehrte ich ihnen den Rücken zu, sodass ich nicht viel verstehen konnte. Aber die Stimmen kamen mir irgendwie bekannt vor: »Keine Spur von einer These … nur das Kanapee«, »So ein Behaarter? …«, »Das Kanapee … die sechzehnte Stufe …«, »Bei der Transgression gibt’s doch bloß vierzehn Stufen«, »Es ist leichter, einen Translator zu modellieren …«, »Sollen sie doch kichern!«, »Dem schenke ich ein Rasiermesser …«, »Ohne das Kanapee geht’s nicht.«. In dem Augenblick hustete einer von ihnen auf so vertraute Weise, dass ich mich sogleich an die letzte Nacht erinnerte und umdrehte. Da aber gingen die beiden schon zur Tür –
Weitere Kostenlose Bücher