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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Papst bedeutet ungefähr Folgendes«, begann die Ziege. »Hat die Obrigkeit an einem Wissenschaftler etwas auszusetzen, erklären Sie sich gleich zum Feind der Wissenschaft überhaupt. Hat die Obrigkeit an einem Ausländer etwas auszusetzen, sind Sie bereit, allem, was sich jenseits der Grenze befindet, den Krieg zu erklären. Verstehen Sie?«
    »Jawohl«, antwortete Chlebowwodow. »Anders kann’s auch gar nicht sein. Unsereins ist eben nicht gebildet genug; da liegt man allzu oft daneben.«
    »Stiehlt er?«, fragte Feofil in verächtlichem Ton.
    »Nein«, antwortete die Ziege. »Er sammelt nur, was abfällt.«
    »Mordet er?«
    »Aber nein!«, erwiderte die Ziege lachend. »Eigenhändig nie.«
    »Erzählen Sie«, forderte Feofil Chlebowwodow auf.
    »Wir haben Fehler gemacht«, gestand Chlebowwodow rasch. »Die Menschen sind keine Engel. Alter schützt vor Torheit nicht. Auch der Klügste kann fehlen – nur wer nichts tut, macht keine Fehler.«
    »Verstehe«, sagte Feofil. »Werden Sie in Zukunft auch Fehler machen?«
    »Niemals!«, entgegnete Chlebowwodow entschieden.
    »Ich danke Ihnen«, sagte Feofil und richtete seinen Blick auf Farfurkis. »Und dieser sympathische Mann?«
    »Das ist Farfurkis«, antwortete die Ziege. »Niemand hat ihn je mit Vor- und Vatersnamen angeredet. Geboren 1916 in Taganrog, Hochschulbildung, Jurist, liest Englisch mithilfe eines Wörterbuchs. Von Beruf Lektor. Doktor der historischen Wissenschaften, Thema der Dissertation: ›Die Gewerkschaftsorganisation der Seifensiederei ‚Erste Pioniere‘ in der Zeit von 1934 bis 1940‹. Er war noch nie im Ausland und reißt sich auch nicht darum. Markante Eigenschaften: Vorsicht und Beflissenheit, die mitunter das Risiko bergen, bei der Obrigkeit anzuecken, eigentlich aber darauf abzielen, den späteren Dank der Obrigkeit zu erwirken.«
    »Das stimmt nicht ganz«, widersprach Farfurkis sanft. »Sie verwechseln da etwas. Vorsicht und Beflissenheit liegen unabhängig von der Obrigkeit in meinem Charakter. Ich bin von Natur aus so, das steckt in meinen Chromosomen. Und was die Obrigkeit angeht, so ist es nun einmal meine Aufgabe, die Vorgesetzten auf die juristischen Grenzen ihrer Kompetenz hinzuweisen.«
    »Und wenn diese Grenzen überschritten werden?«, fragte Feofil.
    »Man merkt, dass Sie kein Jurist sind«, erwiderte Farfurkis. »Es gibt nichts Dehnbareres als juristische Grenzen. Man kann darauf hinweisen, darf sie aber nicht überschreiten.«
    »Wie stehen Sie zum Meineid?«, erkundigte sich Feofil.
    »Ich fürchte, dieser Begriff ist ein wenig veraltet«, antwortete Farfurkis. »Wir verwenden ihn nicht.«
    »Wie steht er zum Meineid?«, fragte Feofil die Ziege.
    »Er glaubt immer felsenfest an das, was er sagt«, erklärte die Ziege.
    »In der Tat: Was ist eine Lüge?«, fragte Farfurkis. »Eine Lüge ist die Leugnung oder Verdrehung einer Tatsache. Was aber ist eine Tatsache? Kann man in unserer unglaublich komplizierten Wirklichkeit überhaupt noch von Tatsachen sprechen? Sie werden sagen: ›Die Tatsache ist eine von Augenzeugen bestätigte Erscheinung oder Handlung.‹ Augen zeugen aber können voreingenommen, eigennützig oder auch dumm sein. ›Die Tatsache ist eine dokumentierte Handlung oder Erscheinung.‹ Dokumente aber können gefälscht oder nachgemacht sein. Und schließlich: ›Die Tatsache ist eine von mir persönlich festgestellte Handlung oder Erscheinung.‹ Meine Sinne aber können abgestumpft oder durch bestimmte Umstände irregeleitet sein. Daraus folgt, dass die Tatsache als solche etwas sehr Ephemeres, Diffuses und Unglaubwürdiges ist und das natürliche Bedürfnis entsteht, generell auf den Begriff zu verzichten. Damit aber werden Lüge und Wahrheit zu primären Begriffen, die durch keine allgemeineren Kategorien bestimmbar sind. Es gibt die Große Wahrheit und ihr Gegenstück, die Große Lüge. Die Große Wahrheit ist so erhaben und für jeden normalen Menschen, wie auch ich einer bin, so offensichtlich, dass es völlig sinnlos wäre, sie widerlegen oder verdrehen, das heißt lügen zu wollen. Darum lüge ich niemals und leiste natürlich auch niemals einen Meineid.«
    »Raffiniert«, fand Feofil. »Sehr raffiniert. Und diese Farfurkis’sche Philosophie der Tatsache ist doch wohl etwas Bleibendes?«
    »Nein«, widersprach die Ziege und grinste spöttisch. »Diese Philosophie ist zwar etwas Bleibendes, aber sie hat nichts mit Farfurkis zu tun. Sie war nämlich gar nicht seine Idee. Überhaupt hat er außer seiner

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