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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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dummer Einfall diese Sprachentropie war – wenn es keinerlei Unterschied machte, was sie analysierten: das »Vorkommnis auf Wache« oder irgendwas über den Sessel mit dem menschlichen Wrack.
    Ich legte mein »Frühwerk« weg und griff nach einer an deren Mappe, die mit ihren gut erhaltenen, sorgsam geschnür ten roten Bändern schon recht zeitgemäß aussah. Auf dem Deckel klebte ein weißes Schild, auf dem stand: »Fragmente, Unveröffentlichtes, Sujets, Vorhaben«.
    Ich schlug sie auf und stieß sofort aufdie Erzählung »Narziss«, die ich 1957 geschrieben hatte. An diesen Text erinnerte ich mich gut. Die handelnden Personen waren: Doktor Lobbes, Chois du Gurselles, Graf Dencker, Baronesse Luste … Erwähnt werden außerdem: Quartsais-Chanois, »ein Vollidiot, der mit sechzehn Jahren impotent wurde«, sowie Stella Bois-Cossues, die leibliche Tante des Grafen Dencker, eine Sadistin und Lesbierin. Die Pointe der Erzählung liegt darin, dass genannter Chois du Gurselles, Aristokrat und Hypnotiseur von ungewöhnlicher Kraft, just in dem Moment, als »sein Blick erfüllt war von dem Wunsch, dem Flehen, ja dem gebieterischen wie zärtlichen Ruf nach Ergebenheit und Liebe«, sein eigenes Spiegelbild erblickte. Und da »dem Willen Chois du Gurselles’ nicht einmal Chois du Gurselles selbst widerstehen konnte«, verliebte sich der Ärmste unsterblich in sich selbst. Wie Narziss. Eine teuflisch elegante und aristokratische Erzählung! Und da ist noch diese Stelle: »Zu seinem Glück gab es nach Narziss noch den Schäfer Onan. Und so lebt der Graf allein mit sich – führt sich aus und kokettiert mit den Damen, wobei er zweifellos eine angenehme, prickelnde Eifersucht auf die eigene Person empfindet.«
    Eijeijei, was für manieriertes, unflätiges Salongewäsch! Dabei kam es aus demselben Winkel meiner Seele, aus dem heraus ich fünfzehn Jahre später die »Modernen Märchen« schrieb, und aus dem sich jetzt meine Blaue Mappe speist, die beständig wächst …
    Nein, meinen »Narziss« gebe ich ihnen auch nicht! Denn erstens habe ich davon nur ein Exemplar. Und zweitens braucht niemand zu wissen, dass Felix Alexandrowitsch Sorokin, Autor des Romans »Die Genossen Offiziere« und des Dramas »Augen zur Mitte«, und gar nicht zu reden von seinen Drehbüchern und dokumentarischen Erzählungen über die Armee, auch noch pornografische Phantasmagorien schreibt.
    Aber das hier von ’58 könnte ich ihnen anbieten: »Die Korjagins«. Ein Stück in drei Akten. Handelnde Personen: Sergej Iwanowitsch Korjagin, Wissenschaftler, etwa sechzig Jahre alt; Irina Petrowna, seine Frau, fünfundvierzig Jahre alt; Nikolai Sergejewitsch Korjagin, sein Sohn aus erster Ehe, ein entlassener Offizier, etwa dreißig. Dazu sieben weitere Figuren – Studenten, Künstler und Offiziersschüler. Die Hand lung spielt im Moskau der Gegenwart.
    ANJA : Darf ich dich etwas fragen?
    NIKOLAI : Versuch’s.
    ANJA : Nimmst du es mir auch nicht übel?
    NIKOLAI : Das kommt darauf an … Nein, ich nehme es dir nicht übel. Geht es um meine Frau?
    ANJA : Ja. Warum hast du dich von ihr scheiden lassen?
    Sehr gut. Anton Pawlowitsch. Konstantin Sergejewitsch. Wla dimir Iwanowitsch. Und die Hauptsache, das Stück ist nicht vollendet und wird auch nie vollendet werden. Genau das bekommen sie.
    Nachdem ich das Manuskript beiseitegelegt hatte, begann ich alles Übrige zurück in den Schrank zu stopfen, und plötzlich fiel mir ein Schulheft mit klebrigem braunem Umschlag in die Hände, das ganz bauchig war von allerlei lose eingelegten Blättern, die seitlich herausschauten. Vor Freude lachte ich sogar auf und rief laut: »Hier bist du also, mein teures Stück!« Wie lange schon hatte ich dieses kostbare Heft vermisst: mein Arbeitstagebuch, das ich im vergangenen Jahr verlegt hatte, als ich meine Papiere ordnete.
    Wie von selbst öffnete es sich in meinen Händen, und darin lag mein altvertrauter Druckbleistift aus der CSSR – kein gewöhnlicher Stift, nein, ein Glücksstift! Alle Sujets durften nur mit ihm notiert werden, mit keinem anderen, obwohl er zugegebenermaßen ziemlich unbequem war, denn seine Hülle war an zwei Stellen geborsten, und die Mine schob sich immer nach innen, wenn man unvorsichtig aufdrückte.
    Mir war auch völlig entfallen, dass ich das Heft fast genau vor elf Jahren, am dreißigsten März, begonnen hatte. Ich saß damals über der Erzählung »Die eiserne Familie«, die von heutigen, sozusagen friedlichen Panzerfahrern handelte. Sie schrieb

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