Gesammelte Werke 6
unterzubringen, damit sie von diesen dummen Menschen wegkommt.« Darüber nachzudenken habe ich heute keine Lust, das mache ich morgen. Er blickte auf die Uhr. Überhaupt reicht es für heute. Ja, es reicht.
Er stand auf und zog sich vor dem Spiegel an. Verflixt, der Bauch wird immer dicker. Wie komme ich denn zu einem Bauch? Ich war doch immer so dünn und drahtig. Eigentlich ist das auch gar kein richtiger Bauch – kein spießiger, durch Trägheit und gutes Essen erworbener Wanst –, sondern bloß eine lausige Oppositionellenschwarte. Der Herr Präsident hat nicht so einen. Der Herr Präsident hat bestimmt einen biederen, mit Bauchbinde schwarz umspannten, glänzenden Ballon …
Als er sich den Schlips umband und sein Gesicht direkt vor dem Spiegel betrachtete, fragte er sich plötzlich, wie dieses selbstbewusste, markante und von gewissen Frauen so vergötterte, dies unschöne, aber männlich harte Kämpfergesicht mit dem quadratischen Kinn am Ende jener historischen Begegnung ausgesehen haben mochte … Das Gesicht des Herrn Präsidenten, dem es ebenfalls weder an Männlichkeit noch an scharfen Kanten mangelte, hatte, unter uns gesagt, am Ende dieser historischen Begegnung eher an eine Schweineschnauze erinnert. Der Herr Präsident hatte geruht, sich maßlos zu ereifern, aus seinem Wildschweinrachen mit den Riesenhauern war Geifer gesprüht, und ich hatte mein Taschentuch gezückt und mir demonstrativ die Wange abgewischt, was wahrscheinlich – von dem Kampf mit den drei Panzern abgesehen – die mutigste Tat meines Lebens gewesen war. Von der Sache mit den Panzern weiß ich nichts mehr, die Geschichte kenne ich nur aus den Berichten von Augenzeugen; aber das Taschentuch hatte ich bewusst gezückt und auch genau gewusst, was mich erwartete. In den Zeitungen aber war nicht darüber berichtet worden, sie hatten nur aufrichtig, geradeheraus und unerschrocken gemeldet, dass »… der Schriftsteller V. Banew dem Herrn Präsidenten für die während des Gesprächs erhaltenen Hinweise und Erklärungen herzlich dankte«.
Merkwürdig, wie gut ich mich daran erinnere.
Plötzlich sah er, dass seine Wangen und seine Nasenspitze weiß geworden waren. Genauso dürfte ich damals ausgesehen haben – und so einen muss man einfach anschreien. Der Ärmste konnte ja nicht wissen, dass ich nicht vor Angst blass wurde, sondern höchstens – wie Ludwig XIV. – vor Wut. Aber nach dem Kampf braucht man nicht mehr die Fäuste zu recken. Was spielt es für eine Rolle, warum ich blass geworden bin … Na gut, lassen wir das. Allerdings, Herr Banew: Damit Sie sich jetzt wieder beruhigen und unbesorgt unter die Leute gehen können, und Ihr unschönes, doch männliches Gesicht seine normale Farbe wiederbekommt, erinnere ich Sie daran, dass, wenn Sie dem Herrn Präsidenten den Anblick Ihres Taschentuchs erspart hätten, Sie jetzt wohlbehalten in unserer wunderschönen Hauptstadt säßen statt in diesem nassen Loch …
Viktor leerte seinen Gin und ging ins Restaurant.
»Natürlich könnten es auch Rowdys gewesen sein«, vermutete Viktor. »Aber zu meiner Zeit hätte sich kein Rowdy an einer Brillenschlange vergriffen. Vielleicht hätte er einen Stein nach ihm geworfen, ihn aber niemals gepackt und weg geschleppt, ja überhaupt nur angefasst. Wir haben sie damals gefürchtet wie die Pest.«
»Aber ich sage Ihnen doch: Das ist eine genetische Krankheit und überhaupt nicht ansteckend«, erklärte Golem.
»Wieso nicht ansteckend«, widersprach Viktor. »Wo man von ihnen doch Warzen kriegt wie von Kröten! Das weiß jedes Kind.«
»Von Kröten kriegt man keine Warzen«, erwiderte Golem friedfertig. »Und von Nässlingen auch nicht. Schämen Sie sich, Herr Schriftsteller … Aber Schriftsteller sind nun mal ein unwissendes Volk.«
»Wie jedes Volk. Das Volk ist unwissend, aber weise. Und wenn das Volk sagt, dass man von Kröten und von Brillenschlangen Warzen kriegt …«
»Ah, da kommt ja mein Inspektor«, unterbrach ihn Golem.
Pavor trat ein, direkt von draußen und in nassem Regenmantel.
»Guten Abend«, grüßte er. »Ich bin nass bis auf die Haut und muss etwas trinken.«
»Der stinkt schon wieder nach Schlamm«, empörte sich Dr. Quadriga, als er aus seinem Rausch erwachte. »Ewig stinkt dieser Mann nach Schlamm. Wie ein Teich mit Entengrütze.«
»Was trinken Sie?«, erkundigte sich Pavor.
»Wir?«, fragte Golem. »Ich zum Beispiel trinke Kognak – wie immer. Viktor trinkt Gin. Und der Doktor alles der Reihe
Weitere Kostenlose Bücher