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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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wieder ein und schüttelte den Kopf wie ein Pferd. »Natürlich. Verzeihen Sie, Yul. Aber wozu die Geheimniskrämerei? Sie sind doch nicht als Arzt dort? Sie züchten doch Nässlinge. Ich werde Sie in Vorschlag bringen. Solche Leute brauchen wir. Verzeihen Sie«, sagte er plötzlich. »Ich komme gleich wieder.«
    Er stemmte sich mühsam aus seinem Sessel hoch und strebte, zwischen den leeren Tischen umherirrend, zum Aus gang. Der Kellner eilte ihm zu Hilfe, und Dr. Quadriga fiel ihm um den Hals.
    »Das macht der Regen«, vermutete Golem. »Wir atmen Wasser. Aber wir sind keine Fische. Entweder krepieren wir hier, oder wir verlassen die Gegend.« Er warf Viktor einen ernsten, bekümmerten Blick zu. »Dann fällt der Regen auf eine leere Stadt, unterspült das Straßenpflaster und sickert durch verschimmelte Dächer. Er spült alles weg, und die Stadt löst sich in der jungfräulichen Erde auf. Und es regnet und regnet, immer weiter …«
    »Die Apokalypse«, murmelte Viktor, nur um etwas zu sagen.
    »Jawohl, die Apokalypse … Es regnet und regnet, die Erde saugt sich voll, und eine neue, nie dagewesene Saat geht auf, in der es kein Unkraut mehr gibt. Aber auch uns gibt es dann nicht mehr. Wir werden das neue Universum nicht erleben …«
    Wären bloß nicht diese bläulichen Tränensäcke und der wabblige Hängebauch, gliche seine prächtige semitische Nase nicht einer topografischen Karte – obwohl, genau genommen waren ja alle Propheten Säufer. Es ist aber auch zu traurig: Du weißt alles, aber keiner glaubt dir. Wollte man in den Departements das Amt eines Propheten einführen, so müsste man ihm zur Stärkung seiner Autorität mindestens den Titel eines Geheimrats geben. Aber auch das würde wahrscheinlich nicht helfen …
    »Wegen systematischer Verbreitung von Pessimismus«, deklamierte Viktor laut, »der die dienstliche Disziplin und den Glauben an eine Zukunft der Vernunft untergräbt, ordne ich an, Geheimrat Golem in der Exekutionszelle zu steinigen.«
    »Hm«, brummte Golem. »Ich bin nur Kollegienrat. Und überhaupt, wo gibt es heute noch Propheten? Ich kenne jedenfalls keinen. Falsche Propheten haben wir dagegen mehr als genug. In unserer Zeit kann man die Zukunft nicht vorhersagen – das ist ein Missbrauch der Sprache. Was würden Sie sagen, wenn bei Shakespeare stünde: die Gegenwart vorhersagen? Kann man den Schrank, der im eigenen Zimmer steht, vorhersagen? Ah, da kommt ja mein Inspektor. Wie fühlen Sie sich, Inspektor?«
    »Großartig.« Pavor setzte sich. »Kellner, einen doppelten Kognak! Im Vestibül halten vier Mann unseren Maler fest«, teilte er den Tischgenossen mit. »Sie versuchen ihm zu erklären, wo sich der Eingang ins Restaurant befindet. Ich habe beschlossen, mich nicht einzumischen, weil er sowieso keinem glaubt und wild um sich schlägt. Um was für Schränke geht’s denn hier?«
    Er war jetzt trocken, elegant und roch frisch nach Kölnischwasser.
    »Wir sprachen von der Zukunft«, antwortete Golem.
    »Was hat es für einen Sinn, von der Zukunft zu sprechen?«, wunderte sich Pavor. »Von der Zukunft spricht man nicht, man macht sie. Hier ist ein Glas Kognak. Es ist voll. Ich mache es leer. So. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass man die Zukunft nicht vorhersagen, wohl aber Zukünfte erfinden kann.«
    »Und ein anderer kluger Mann«, warf Viktor ein, »hat gesagt, dass es überhaupt keine Zukunft gibt, sondern nur eine Gegenwart.«
    »Ich mag die klassische Philosophie nicht«, wandte Pavor ein. »Diese Leute konnten nichts und wollten nichts. Sie hatten einfach Spaß am Denken, so wie Golem Spaß am Trinken hat. Die Zukunft ist nichts anderes als eine sorgsam entschärfte Gegenwart.«
    »Ich habe immer ein ungutes Gefühl«, sagte Golem, »wenn ein Zivilist wie ein Militär denkt.«
    »Militärs denken überhaupt nicht«, widersprach Pavor. »Militärs haben nur Reflexe und ein paar Emotionen.«
    »Die meisten Zivilisten auch«, bemerkte Viktor und befühlte seinen Nacken.
    »Zum Denken hat heute keiner mehr Zeit«, gab Pavor zu bedenken. »Weder Militärs noch Zivilisten. Heutzutage muss man zusehen, dass man alles Nötige schafft. Wer sich da für die Zukunft interessiert, sollte sie mithilfe seiner Reflexe und Emotionen rasch erfinden.«
    »Zum Teufel mit den Erfindern.« Viktor war betrunken und guter Dinge. Alles war wieder an seinen Platz gerückt. Er wollte nirgendwohin gehen, er wollte hierbleiben, in diesem leeren, halb dunklen Saal, der noch nicht ganz verfallenen

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