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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Hasen an den Schandpfahl genagelt hatte, kam nun so ein Kolesnitschenko daher, so ein raffinierter Hund, unsolider Kerl, Literaturparasit aus Berufung, der weder schöpferische Qualen noch Inspiration kennt, aber ein scharfes Auge hat und lange Finger. Er schnappt sich, was nicht niet- und nagelfest ist, bastelt es schnell ein bisschen um – fertig! Und um die Sache möglichst geschickt zu vertuschen, gibt er seine Mixtur als Übersetzung aus einer exotischen Sprache aus, darauf bauend, dass sie im Original ohnehin keiner lesen kann.
    Ein Dummkopf ist dieser O. Oreschin, so ist das! Und zwar kein Dummkopf im alltäglichen, harmlosen Sinn, sondern ein Dummkopf als Vertreter einer besonderen Spezies: Er lebt unter uns wie ein Außerirdischer, hat ein völlig anderes Wertesystem, eine unbekannte, fremde Psyche, einen anderen Daseinszweck, und das, was wir in unserer Arroganz für einen Minderwertigkeitskomplex halten, für eine krankhafte Abweichung von der psychischen Norm, ist das ursprüngliche, gesunde Skelett seiner Weltanschauung.
    »… andernfalls könnte keiner von uns ehrlichen Schriftstellern, und das ist schließlich die Mehrheit – die Kolesnitschenkos springen zwar ins Auge, aber die Mehrheit besteht aus Menschen wie Sie und ich –, für die das Wichtigste die ehrliche Arbeit ist, sorgfältiges Materialstudium, ideell-künstlerisches Niveau …«
    »Und die Viehzucht!«, blaffte ich instinktiv dazwischen.
    Eine volle Sekunde, vielleicht sogar zwei herrschte Schwei gen im Hörer. Dann meinte Oreschin unsicher: »Die Viehzucht? Ja … auch die Viehzucht, ohne Zweifel … Aber ver stehen Sie, Felix Alexandrowitsch, welcher Umstand für mich hier der wichtigste ist?«
    Und er begann wieder von vorn.
    Jedenfalls verblieben wir so, dass ich mich mit dieser Sache näher vertraut machen würde – die Fabel läse, die Erzählung läse, mit Kolesnitschenko redete – und wir danach noch einmal miteinander telefonieren und auf das interessante und gewinnbringende Gespräch zurückkommen würden.
    Puh! Ich warf den Hörer auf,sprang wie Lucky Jim mit den Füßen auf das Sofa, kratzte mich grimmig unter den Achseln und schnitt ein paar scheußliche Grimassen. Es gibt keine Erlösung, ging es mir durch den Sinn. Es gibt keine Erlösung für sie, wiederholte ich, während ich hüpfte und das Gesicht verzog. Es gibt keine Erlösung für uns, und es wird keine geben, heute, und bis in alle Ewigkeit, amen! Dann war ich außer Atem, ließ mich rücklings auf das Polster fallen und breitete die Arme aus.
    Erst jetzt bemerkte ich die Dunkelheit im Zimmer. Es war schon Abend, zwar noch nicht spät, aber immerhin Abend, und ich dachte etwas wehmütig daran, dass ich mich bis vor wenigen Jahren um diese Zeit noch einmal an die Maschine gesetzt und zwei, drei vollständige Seiten getippt hatte. Aber damit ist Sense, Genosse Sorokin, jetzt tippen Sie um diese Zeit nichts Brauchbares mehr, sondern verderben sich bloß die Laune …
    Und wieder klingelte das Telefon. Ächzend erhob ich mich und griff nach dem Hörer. Die aufflammende Hoffnung, es könnte Rita sein, war mir noch nicht einmal bewusst geworden, als eine Männerstimme leise sagte: »Bitte geben Sie mir Felix Alexandrowitsch, seien Sie so gut.«
    »Das bin ich.«
    Kurze Pause. Dann fragte die Stimme: »Entschuldigen Sie, Felix Alexandrowitsch, haben Sie unseren Brief erhalten?«
    »Was für einen Brief?«
    »Äh … Dann ist er sicher noch unterwegs. Entschuldigen Sie, Felix Alexandrowitsch. Wir melden uns in zwei Tagen wieder. Entschuldigung … Auf Wiederhören …«
    Und das Freizeichen.
    Was sollte das, zum Teufel? Eilig ging ich in Gedanken die Briefe der letzten Tage durch, und plötzlich entsann ich mich des braunen Kuverts ohne Absender. Wo hatte ich es hingetan? Ah! Ich hatte es in eine Tasche meiner Jacke gesteckt und dort vergessen. Wieder überkam mich diese undefinierbare Beklemmung, die ich auch schon gespürt hatte, als mir das Fehlen des Absenders auffiel.
    Ich schaltete das Licht ein, ging in die Diele, um den Brief zu holen, und besah mir, nachdem ich mich an den Tisch gesetzt hatte, die Stempel. An ihnen war nichts Besonderes. Moskau, G-69. Wo war das? Das Papier schien sehr fest zu sein; nichts leuchtete durch, als ich ihn gegen das Licht hielt, und dennoch glaubte ich, nur einen Briefbogen darin zu fühlen. Ich nahm die Schere und öffnete das Kuvert ordentlich, ganz am Rand. Darin lag ein zweiter Umschlag, ein handelsüblicher, mit Bildchen, und

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