Gesammelte Werke 6
Ohne seine altmodische Art und seine Überheblichkeit wäre Merlin wohl noch schwerer zu ertragen gewesen als Wybegallo. Durch das Versehen eines Mitarbeiters war es ihm für eine Weile sogar gelungen, zum Leiter der Abteilung für Prophezeiungen und Prognosen zu avancieren. Er hatte sich nämlich in allen Formularen auf seinen unversöhnlichen Kampf gegen den Imperialismus der Yankees seit dem frühen Mittelalter berufen, was er mit notariell beglaubigten, maschinengeschriebenen Kopien der entsprechenden Seiten aus Mark Twain zu beweisen suchte. Später, im Zuge von regionalen Klimaveränderungen und globaler Erwärmung, wurde er wieder auf seinen alten Posten als Leiter des Wetterbüros versetzt und befasste sich nun, wie schon vor tausend Jahren, mit der Prognose atmosphärischer Erscheinungen – sowohl mithilfe magischer Methoden als auch durch Rückschlüsse, die er aus dem Gebaren von Taranteln, dem Zunehmen rheumatischer Beschwerden und dem Verhalten der Solowetzker Schweine zog, sich je nach Wetterlage im Dreck zu suhlen oder selbigen zu verlassen. Hauptlieferant seiner Prognosen war ein ganz gewöhnlicher Detektorempfänger, mit dem er Funksprüche abhörte; Gerüchten zufolge hatte er ihn schon in den Zwanzigerjahren auf einer Ausstellung junger Techniker in Solowetz stibitzt. Das Institut beschäftigte Merlin aus Respekt vor seinem hohen Alter weiter. Er war ein Busenfreund von Naina Kiewna Gorynytsch, mit der er gemeinsam Gerüchte sammelte und verbreitete, zum Beispiel über das Auftauchen einer behaarten Riesin in den Wäldern oder die Entführung einer Studentin durch einen Schneemenschen vom Elbrus. Es hieß, er nehme von Zeit zu Zeit auch an den nächtlichen Zusammenkünften mit Ch. M. Wij, Choma Brut und anderen Unholden auf dem Kahlen Berg teil.
Roman und ich schwiegen und warteten darauf, dass er endlich verschwand. Stattdessen hüllte er sich in seinen Mantel, machte es sich unter dem Kronleuchter bequem und fing an, eine lange, allseits bekannte Geschichte von der Inspektionsreise zu erzählen, die ihn, Merlin, und den Vorsitzenden des Kreissowjets von Solowetz, den Genossen Perejaslawlski, durch den ganzen Bezirk geführt hatte. Die Geschichte war frei erfunden – eine plumpe, schamlose Imitation von Mark Twain. Während er erzählte, sprach Merlin von sich in der dritten Person und nannte den Vorsitzenden manchmal versehentlich König Artus.
»Also begaben sich der Vorsitzende des Kreissowjets und Merlin auf den Weg. Den ersten Halt machten sie bei dem Imker Sir Otschelnitschenko – er war ›Held der Arbeit‹, ein guter Ritter und großer Honigsammler. Sir Otschelnitschenko gab Kunde von seinen Arbeitserfolgen und heilte König Artus mit Bienengift von der Radikulitis. Der Vorsitzende hielt sich drei Tage alldorten auf, dann waren seine Wunden geheilt, und er zog von dannen. Und da sie ritten, sprach Ar… äh, der Vorsitzende: ›Ich habe kein Schwert.‹ – ›Das macht nichts‹, sprach Merlin. ›Ich werde Euch ein Schwert beschaffen, sobald ich es vermag.‹ Sie ritten nun, bis sie zu einem See kamen,und siehe: Aus dem See erhob sich eine Hand, schwielig und proletarisch, und sie hielt Hammer und Sichel … Und Merlin sagte: ›Das ist das Schwert, davon ich zu dir gesprochen habe‹ …«
In diesem Augenblick läutete das Telefon, und ich griff dankbar nach dem Hörer.
»Hallo«, meldete ich mich. »Hallo, ich höre.«
Aus dem Hörer drang unverständliches Gemurmel, wäh rend Merlin näselnd fortfuhr: »Da sie nun in Leshnjowo ein ritten, trafen sie auf dem Weg Sir Pellinore. Merlin aber hatte einen Zauber bewirkt, also dass Pellinore den Vorsitzenden nicht sah …«
»Sir Genosse Merlin«, wandte ich mich an ihn. »Geht es nicht ein wenig leiser? Ich kann nichts verstehen.«
Merlin verstummte mit der Miene eines Menschen, der jeden Augenblick bereit ist fortzufahren.
»Hallo«, rief ich noch einmal.
»Wer ist am Apparat?«, fragte eine Stimme.
»Wen wollen Sie denn sprechen?«, fragte ich aus Gewohnheit.
»Unterlassen Sie das. Sie sind nicht auf dem Rummelplatz, Priwalow.«
»Verzeihung, Modest Matwejewitsch. Hier spricht der Diensthabende Priwalow.«
»Na also. Berichten Sie.«
»Was soll ich denn berichten?«
»Hören Sie, Priwalow. Sie benehmen sich mal wieder wie ich weiß nicht wer. Mit wem haben Sie eben gesprochen? Wieso befinden sich Unbefugte im Vorzimmer des Direktors? Wieso sind überhaupt nach Arbeitsschluss noch Leute im Institut?«
»Das ist
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