Gesammelte Werke 6
wurden mir die Knie weich. Es wurde ernst. Vitka befand sich jetzt in einem Zustand, in dem es Magier fertigbringen, jemanden ohne mit der Wimper zu zucken in eine Spinne, eine Assel oder ein anderes stilles Tier zu verwandeln. Ich kauerte mich neben den Dschinn. Und sah Vitka zu.
Vitka hatte die klassische Pose für materielle Beschwörungen eingenommen (die »Position Martychor«): Über den Tisch wallten rosige Dämpfe, Schatten fuhren wie Fledermäuse auf und nieder, die Rechenmaschine und das Papier verschwanden, und mit einem Mal bedeckte sich der ganze Tisch mit Gefäßen, in denen durchsichtige Lösungen schwappten. Ohne hinzusehen, stellte Vitka das Umoplekt auf einen Stuhl, ergriff eines der Gefäße und musterte es prüfend. Mir war völlig klar, dass ich ihn jetzt nicht mehr aus dem Labor bekäme. Er räumte hastig die Wanne vom Kanapee, war mit einem Satz bei den Stellagen und schleppte ein großes kupfernes Aquavitometer zum Tisch. Ich wollte es mir gerade bequem machen und dem Dschinn ein Guckloch ins Glas reiben, als im Korridor Stimmen und Schritte laut wurden und eine Tür nach der anderen auf- und zuklappte. Ich sprang auf und stürmte aus dem Labor hinaus.
Von nächtlicher Stille war in dem riesigen Gebäude nichts mehr zu spüren. Im Korridor brannten sämtliche Lampen. Jemand stürmte Hals über Kopf die Treppe hinunter, ein anderer rief: »Walka! Die Spannung lässt nach! Lauf in den Akkuraum!«, ein Dritter schüttelte auf dem Treppenpodest seinen Pelz aus, und der nasse Schnee wirbelte in alle Richtungen. Mir kam raschen Schritts und mit nachdenklicher Miene der vornehm gebeugte Gian Giacomo entgegen, und hinter ihm her trippelte ein Gnom mit der riesigen Aktentasche unter dem Arm und dem Spazierstock zwischen den Zähnen. Wir tauschten einen kurzen Gruß. Der große Zauberer roch nach gutem Wein und französischem Parfüm. Ich wagte nicht, ihn aufzuhalten, und er ging durch die geschlossene Tür in sein Kabinett. Der Gnom schob die Aktentasche und den Spazierstock hinterher und verschwand im Radiator der Dampfheizung.
»Was soll der Spuk?«, schrie ich und rannte zur Treppe.
Im Institut wimmelte es von Mitarbeitern. Es schienen sogar noch mehr zu sein als an gewöhnlichen Werktagen. In allen Arbeitszimmern und Labors brannte Licht, sämtliche Türen standen offen. Im Institut herrschte der übliche Lärm. Elektrische Entladungen krachten, monotone Stimmen diktierten Zahlen und murmelten Beschwörungen, Mercedes- und Rheinmetall-Rechenmaschinen ratterten. Und all die Geräusche wurden noch übertönt von der sieghaft schallenden Stimme Fjodor Simeonowitschs: »Das ist g-gut, das ist ausgezeichnet! Das haben Sie g-großartig gemacht, mein Guter! Aber w-welcher Esel hat d-den Generator abgeschaltet?« Jemand verpasste mir einen Stoß mit einem scharfkantigen Gegenstand, sodass ich mich ans Treppengeländer klammerte. Ich schnaubte vor Wut; es waren Wolodja Potschkin und Edik Amperjan, die eine Koordinatenmessmaschine mit dem Gewicht einer halben Tonne in ihre Etage transportierten.
»Ah, Sascha!«, grüßte Edik freundlich.
»Aus dem Weg, Sascha!«, schrie Wolodja Potschkin, der rückwärts die Treppe herunterkam. »Weiter, weiter!«
Ich packte ihn beim Schlafittchen. »Wieso bist du im Institut? Wie kommst du hier rein?«
»Durch die Tür natürlich. Lass mich los!«, forderte Wolodja.
»Mehr nach rechts, Edik! Siehst du nicht, dass sie so nicht durchpasst?«
Ich ließ von ihm ab und stürmte die Treppe hinunter ins Vestibül. Im Namen der Verwaltung erfüllte mich Empörung. »Euch werd ich’s zeigen«, murmelte ich und übersprang bei jedem Satz vier Stufen. »Euch werd ich’s zeigen, ihr Faulpelze. Ihr könnt doch nicht Hinz und Kunz hier hereinlassen!« Anstatt ihre Arbeit zu tun, spielten die Makrodämonen an Ein- und Ausgang Roulette, zitterten vor Erregung und phosphoreszierten wie im Fieber. Vor meinen Augen sprengte der pflichtvergessene Dämon, der für den Einlass zuständig war, gerade die Bank des pflichtvergessenen Dämons, der für den Ausgang zuständig war, in mindestens siebzig Milliarden Moleküle. Das Roulette erkannte ich sofort. Es gehörte mir. Ich hatte es eigenhändig für einen geselligen Abend angefertigt und bewahrte es im Elektroniksaal hinter einem Schrank auf, und der Einzige, der davon wusste, war Vitka Kornejew. Ich witterte eine Verschwörung. Die konnten was erleben! Und dabei strömten immerzu neue Mitarbeiter ins Vestibül, mit fröhlichen roten
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