Gesammelte Werke 6
ein Schreiber und ein Stapel Papier. Das Double knickte in den Knien ein, hing in der Luft, schrieb etwas und warf mir von Zeit zu Zeit einen misstrauischen Blick zu. Das wirkte so echt, dass mir Zweifel kamen. Aller dings gab es ein sicheres Mittel, die Wahrheit herauszufinden. Doubles sind in der Regel völlig unempfindlich gegenüber Schmerzen. Ich kramte eine kleine, spitze Zange aus meiner Hosentasche, ließ sie auf- und zuschnappen und näherte mich dem Double. Das Double hörte auf zu schreiben. Ich blickte ihm direkt in die Augen, zwickte mit der Zange einen Nagelkopf ab, der aus dem Tisch ragte, und sagte: »Na?«
»Was willst du von mir?«, fragte Vitka. »Du siehst doch: Ich habe zu tun.«
»Du bist ein Double«, erwiderte ich. »Wie kannst du es wagen, mit mir zu diskutieren?«
»Steck die Zange weg«, verlangte er.
»Und du lass die Faxen«, bat ich. »Von wegen Double.«
Vitka setzte sich auf die Tischkante und rieb sich müde die Ohren.
»Heute will einfach nichts klappen«, teilte er mir mit. »Ich mache nur Mist. Das Double, das ich gebaut hatte, war zu nichts zu gebrauchen. Alles fiel ihm aus der Hand, und dann setzte sich der Trottel auch noch auf das Umoplekt. Ich hab ihm eine geknallt und mir dabei fast die Hand verrenkt. Und dieser Barsch krepiert einfach.«
Ich trat ans Kanapee und warf einen Blick in die Wanne.
»Was ist denn mit ihm?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Wo hast du ihn denn her?«
»Vom Markt.«
Ich zog den Barsch am Schwanz aus dem Wasser:
»Was willst du? Ist doch ein ganz normaler toter Fisch.«
» Hornochse«, versetzte Vitka. »Das ist doch lebendes Was ser.«
»Aha«, sagte ich und überlegte, was ich ihm raten konnte. Vom Wirkungsmechanismus des lebenden Wassers hatte ich nur sehr verschwommene Vorstellungen. Hauptsächlich aus dem Märchen von Iwan Zarewitsch und dem Grauen Wolf … Der Dschinn bewegte sich in der Flasche langsam hin und her und wischte von Zeit zu Zeit mit der Handfläche über das von außen eingestaubte Glas.
»Du könntest mal das Glas putzen«, schlug ich vor, da mir nichts Besseres einfiel.
»Was?«
»Du könntest mal den Staub vom Glas wischen. Er langweilt sich doch da drin.«
»Na und, dann langweilt er sich eben«, meinte Vitka zerstreut. Er steckte wieder den Arm ins Kanapee und stocherte darin herum. Der Barsch kam zu sich.
»Hast du gesehen?«, fragte Vitka. »Bei Höchstspannung ist alles in Ordnung.«
»Ein ungeeignetes Exemplar«, vermutete ich auf gut Glück.
Vitka zog den Arm aus dem Kanapee und starrte mich an. Er machte Augen wie ein Double.»Ein Exemplar ist dem anderen ein Wolf.«
»Wahrscheinlich war er tiefgefroren«, sagte ich, schon mutiger geworden.
Aber Vitka hörte mir gar nicht zu.
»Wo krieg ich nur einen Fisch her?«, überlegte er, wobei er sich nach allen Seiten umsah und seine Taschen abklopfte. »Ich brauche einen Fisch.«
»Wozu?«, fragte ich.
»Richtig«, sagte Vitka. »Wozu? Wenn ich keinen anderen Fisch habe«, fuhr er nachdenklich fort, »dann nehme ich einfach anderes Wasser. Richtig?«
»Nein«, widersprach ich. »So wird das nichts.«
»Wie dann?«, wollte Vitka begierig wissen.
»Verschwinde«, forderte ich ihn auf. »Mach, dass du wegkommst.«
»Wohin denn?«
»Wohin du willst.«
Er stieg über das Kanapee und packte mich am Kragen.
»Jetzt hör mir mal gut zu«, drohte er. »Es gibt nichts auf der Welt, was völlig identisch wäre. Alles schwört auf die gaußsche Verteilungskurve, aber Wasser ist nicht gleich Was ser. Der alte Esel hat nicht berücksichtigt, dass es auch eine Streuung der Eigenschaften gibt.«
»He, Freundchen«, mahnte ich. »Es ist bald Neujahr! Verrenn dich jetzt nicht!«
Er ließ mich los und hastete aufgeregt hin und her. »Wo hab ich es bloß hingesteckt? Ich Trottel! … Wo hab ich’s nur …? Ach, da ist es ja!«
Er stürzte zu dem Stuhl, auf dem hochkant das Umoplekt stand – dasselbe wie damals. Ich sprang zur Tür zurück und bat ihn noch einmal: »Komm zu dir! Es ist bald Mitternacht! Sie warten doch auf dich! Verotschka wartet!«
»Ach wo«, antwortete er. »Ich hab ihnen ein Double geschickt. Ein erstklassiges Double mit vielen Extras. Einen richtigen Laffen. Der erzählt Witze, macht Handstand und tanzt wie aufgezogen.«
Er ließ das Umoplekt in seinen Händen kreisen, kniff ein Auge zu und überlegte.
»Du sollst verschwinden! Los, mach, dass du wegkommst!«, brüllte ich verzweifelt.
Doch bei dem Blick, den Vitka mir zuwarf,
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