Gesammelte Werke 6
ein Tonbandgerät, ein Radio, einen Filmprojektor und eine kleine Handbibliothek auf. Der Kadaver warf einen gleichgültigen Blick auf die kulturellen Geräte und nagte probehalber an einem Tonband. Anscheinend offenbarten sich die geistigen Bedürfnisse dieses Exemplars nicht spontan. Da befahl Wybegallo die, wie er sich ausdrückte, gewaltsame Penetration kultureller Gepflogenheiten. Das Tonbandgerät dudelte romantisch los: »Wir mussten Abschied nehmen und schwor’n uns ew’ge Treu …« Das Radio pfiff und dudelte. Der Projektor warf den Trickfilm Der Wolf und die sieben Geißlein an die Wand. Zwei Laboranten stellten sich mit Zeitschriften in den Händen neben dem Kadaver auf und lasen ihm laut daraus vor.
Wie nicht anders zu erwarten, ließ dieses ganze Theater das Magen-Modell kalt. Solange es fressen wollte, pfiff es auf die geistige Welt, weil es lieber fraß. War es hingegen satt, ignorierte es die geistige Welt, weil es träge war und schläfrig und vorübergehend gar nichts mehr wollte. Dennoch aber entdeckte der scharfsinnige Wybegallo einen unbedingten Zusammenhang zwischen den Trommelschlägen aus dem Radio und dem reflexartigen Zucken der unteren Gliedmaßen des Exemplars. Dieses Zucken versetzte Wybegallo in Begeisterung.
»Den Fuß!«, schrie er und packte B. Zucht am Ärmel. »Nehmen Sie den Fuß auf! In Großaufnahme! La vibration de sa mollet gauche est un grand signe! Dieser Fuß lässt alle Intrigen abreißen und widerlegt alle Verleumdungen, die man gegen mich vorbringt! Oui, sans doute, der Laie wird sich vielleicht wundern, was ich so Bedeutungsvolles an diesem Fuß finde. Aber, Genossen, bekanntlich offenbart sich das Große im Kleinen. Ich darf daran erinnern, dass es sich hier um ein Modell mit eingeschränkten Bedürfnissen handelt, konkret gesagt: mit einem einzigen Bedürfnis. Und – um die Dinge offen und unverblümt, wie es unsere Art ist, beim Namen zu nennen – es handelt sich um ein Modell mit einem rein magenbezogenen Bedürfnis. Deshalb sind auch seine geistigen Bedürfnisse so eingeschränkt. Wir behaupten nämlich, dass nur die Vielfalt der materiellen Bedürfnisse eine Vielfalt der geistigen Bedürfnisse gewährleistet. Der Presse werde ich das an einem allgemeinverständlichen Beispiel erläutern. Wäre unserem Modell beispielsweise dieses Tonbandgerät ›Astra-7‹, Kostenpunkt einhundertvierzig Rubel, ein echtes materielles Bedürfnis gewesen, hätte es das Tonbandgerät in Besitz genommen und es eingeschaltet, denn was – sagen Sie selbst – fängt man sonst mit einem Tonbandgerät an? Hätte das Modell es eingeschaltet, hätte es Musik gehört. Und wenn es Musik gehört hätte, so hätte es ihr gelauscht oder danach getanzt. Doch was, Genossen, ist das Lauschen von Musik, egal, ob mit oder ohne Tanz? Es ist eine Befriedigung geistiger Bedürfnisse. Comprenez-vous? «
Ich beobachtete schon seit einer Weile, dass sich das Verhalten des Kadavers völlig verändert hatte. Ich weiß nicht, ob es sich um einen Defekt handelte, oder ob es so sein musste – jedenfalls wurden die Phasen der Relaxation immer kürzer, und gegen Ende von Wybegallos Vortrag kam er gar nicht mehr vom Fließband weg. Allerdings lag das vielleicht auch daran, dass er mittlerweile kaum noch laufen konnte.
»Gestatten Sie mir eine Frage«, wandte sich Edik höflich an Wybegallo. »Wie erklären Sie es, dass die Paroxysmen der Zufriedenheit ausbleiben?«
Wybegallo verstummte und starrte den Kadaver an. Der Kadaver fraß. Wybegallo starrte Edik an.
»Ich werde Ihnen antworten«, erwiderte er selbstgefällig. »Das, Genossen, ist eine gute Frage. Ja, ich würde sogar behaupten: eine kluge Frage. Wir haben hier nämlich ein Modell der ständig steigenden materiellen Bedürfnisse vor uns. Und nur ein oberflächlicher Beobachter kann den Eindruck gewinnen, dass die Paroxysmen der Zufriedenheit ausbleiben. In Wirklichkeit sind sie dialektisch in eine neue Qualität übergegangen und haben sich auf den Prozess der Bedürfnisbefriedigung ausgedehnt: Jetzt genügt es dem Modell schon nicht mehr, einfach satt zu sein. Jetzt sind seine Bedürfnisse gestiegen, und es muss unaufhörlich essen, es hat dazugelernt und weiß jetzt, dass auch das Kauen etwas Wunderbares ist. Drücke ich mich verständlich aus, Genosse Amperjan?«
Ich blickte zu Edik hinüber. Edik lächelte höflich. Neben ihm standen Hand in Hand die Doubles Fjodor Simeonowitsch Kiwrins und Cristóbal Juntas. Ihre Köpfe mit den weit
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