Gesammelte Werke 6
mit kritischen Anmerkungen zum Fehlen der nötigen Ordnung in der Kasse für die gegenseitige Hilfe, zu den Schlampereien in der Arbeitsorganisation der freiwilligen Feuerwehr und zu den Glücksspielen im Vivarium (geschrieben hatte das bucklige Pferdchen, das gegen den Un sterblichen Kostschej eine Wochenration Hafer verloren hatte). Auch ein paar Karikaturen lagen vor. Eine davon zeigte Choma Brut mit violetter Nase und von oben bis unten besudelt. Eine andere spielte auf die Zustände im Bad an – man sah einen blau gefrorenen nackten Mann unter einer eiskalten Dusche zittern.
»Furchtbar öde das Ganze!«, fand ich. »Vielleicht geht es diesmal ohne Gedichte?«
»Nein«, seufzte Stella. »Ich habe die Beiträge schon hin und her gerückt, aber es bleibt immer noch Platz.«
»Sanja könnte doch was zeichnen. Ein paar goldene Ähren oder blühende Stiefmütterchen … Hm, Sanja?«
»Keine Müdigkeit vortäuschen«, versetzte Drosd. »Ich muss die Überschrift fertig machen.«
»Und?«, sagte ich. »Die drei Worte!«
»Mit einem Sternenhimmel im Hintergrund«, erklärte Drosd eindringlich. »Und einer Rakete. Dann sind da noch die Überschriften zu den Artikeln. Dabei habe ich noch nicht einmal zu Mittag gegessen. Und gefrühstückt hab ich auch noch nicht.«
»Dann geh doch was essen«, schlug ich vor.
»Ich hab aber kein Geld«, beschwerte er sich. »Hab mir ein Tonbandgerät zugelegt. Im An- und Verkauf. Ihr könntet mir ja ein paar Brote schmieren, anstatt hier Unfug zu treiben. Mit Butter und Marmelade, bitte. Oder, besser noch, ein ganzes Dutzend zaubern.«
Ich holte einen Rubel aus der Tasche und hielt ihn Sanja vor die Nase.
»Den kriegst du, wenn du die Überschrift fertig hast.«
»Geschenkt?«, fragte Sanja lebhaft.
»Nein. Geborgt.«
»Na, ist ja auch egal«, sagte er. »Aber mach dich drauf gefasst, dass ich gleich tot umfalle. Ich habe schon Krämpfe. Und kalte Füße.«
»Alles Schwindel«, meinte Stella. »Komm, Sascha, setzen wir uns dort an das kleine Tischchen und machen die Gedichte fertig.«
Wir setzten uns und breiteten die Karikaturen vor uns aus. Eine Zeit lang betrachteten wir sie in der Hoffnung, dass uns eine Idee käme. Dann sagte Stella: »Nimm dich in Acht vor Choma Brut – er bringt dich um dein Hab und Gut!«
»Wieso?«, fragte ich. »Hat er etwas stibitzt?«
»Nein«, antwortete Stella. »Er hat bloß randaliert und die Leute angepöbelt. Aber es muss sich doch reimen.«
Wieder warteten wir auf eine Erleuchtung. Aber außer »… Hab und Gut« wollte mir auch nichts einfallen.
»Gehen wir doch mal logisch an die Sache ran«, schlug ich vor. »Da ist Choma Brut. Er hat sich betrunken. Er hat die Leute angepöbelt. Was hat er noch angestellt?«
»Mädchen belästigt«, sagte Stella. »Und eine Scheibe eingeschlagen.«
»Gut, was noch?«
»Mit Ausdrücken um sich geworfen.«
»Komisch«, warf Sanja Drosd ein. »Ich hab mit diesem Choma Brut im selben Vorführraum gearbeitet. Da gab’s an ihm nichts auszusetzen.«
»Und?«, fragte ich.
»Nichts weiter.«
»Weißt du einen Reim auf Brut?«, wollte ich wissen.
»Gut.«
»Das hatten wir schon«, erwiderte ich.
Stella deklamierte: »Genossen, hier steht Choma Brut. Gebt ihm flink eins auf den Hut. Haut den Brut, bis strömt das Blut.«
»Das geht nicht«, sagte Drosd. »Das hieße ja, die Prügelstrafe zu propagieren.«
»Mordswut«, sagte ich. »Oder einfach Wut.«
»Genossen, hier steht Choma Brut«, sagte Stella. »Da packt uns gleich eine Mordswut.«
»Bei eurer Dichterei kann einen auch eine Mordswut packen«, warf Drosd ein.
»Hast du die Überschrift fertig?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete Drosd angriffslustig.
»Dann klotz ran.«
»Eine Schande für das ganze Institut – sind Säufer wie der Choma Brut«, sagte Stella.
»Das ist gut«, lobte ich. »Das kommt zum Schluss. Schreib’s auf. Das ergibt eine frische, originelle Moral.«
»Was ist denn daran originell?«, wollte Drosd wissen.
Ich ließ mich jedoch auf keine Unterhaltung ein.
»Jetzt sollten wir schildern, wie er randaliert hat«, schlug ich vor. »Vielleicht so: Betrinkt sich wie ein Pavian, zerschlägt das ganze Porzellan und kräht dann wie ein Gockelhahn.«
»Grässlich«, sagte Stella angewidert.
Ich stützte den Kopf in beide Hände und sah mir die Karikatur noch einmal an. Drosd fuhr, das Hinterteil hochgereckt, mit dem Pinsel übers Zeichenpapier. Seine Beine in den engen Jeans bildeten ein O. Da kam mir eine
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