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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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er: »Hat dieser Sedlovoi auch schon mal versucht, in die beschriebene Gegenwart zu reisen? Das wäre bestimmt noch amüsanter.«
    Während ich noch über diesen Vorschlag nachdachte und mich über Romans Scharfsinn freute, kippte er den Papierkorb auf dem Fußboden aus.
    »Was soll das?«, fragte ich. »Hast du deine Dissertation verlegt?«
    »Weißt du, Sascha«, begann er, während er mich abwesend ansah. »Das ist eine komische Geschichte. Gestern habe ich den Ofen gereinigt und eine angesengte grüne Feder darin gefunden. Ich habe sie in den Papierkorb geworfen, und jetzt ist sie verschwunden.«
    »Eine Feder? Von was für einem Vogel?«, fragte ich.
    »Na ja, grüne Vogelfedern gibt’s in unseren Breiten ziemlich selten. Der Papagei, der gerade verbrannt wurde, war grün.«
    »Was ist das für ein Unsinn«, sagte ich. »Die Feder hast du doch schon gestern gefunden.«
    »Eben«, versetzte Roman, während er das Knüllpapier und die Schnipsel wieder einsammelte.

3
    Verse sind etwas ganz Unnatürliches; es spricht niemand in Versen, außer der Büttel am zweiten Weihnachtsfeiertag oder die Leute, die Warrens Schuhwichse oder Makassaröl ausschreien … Lass dich nie zum Versemachen herab, mein Junge.
    Charles Dickens
    Die Reparatur des Aldan dauerte die ganze Nacht. Als ich am nächsten Morgen in den Elektroniksaal kam, saßen dort ein paar unausgeschlafene, schlecht gelaunte Ingenieure auf dem Fußboden und verfluchten Cristóbal Junta. Sie nannten ihn einen Skythen, einen Barbaren und Hunnen, der seine Pfoten nach der Kybernetik ausstreckt. Sie waren so verzweifelt, dass sie eine Zeit lang auf meine Ratschläge hörten und sie sogar zu befolgen suchten. Dann aber kam ihr Chef Sabaoth Baalowitsch Odin, und sie zerrten mich augenblicklich vom Rechner weg. Ich räumte das Feld, setzte mich an meinen Tisch und sah dabei zu, wie sich Sabaoth Baalowitsch in die Ursachen des Defekts vertiefte.
    Er war schon sehr alt, aber kräftig, drahtig und braungebrannt. Er trug einen schneeweißen Anzug aus chinesischer Seide, seine Wangen waren glatt rasiert, die Glatze glänzte. Sabaoth Baalowitsch wurde von jedem mit allergrößtem Respekt behandelt. Ich sah mit eigenen Augen, wie er dem sonst gefürchteten Modest Matwejewitsch mit leiser Stimme die Leviten las, während dieser katzbuckelnd vor ihm stand und murmelte: »Zu Befehl. Tut mir leid. Soll nicht wieder vorkommen …« Sabaoth Baalowitsch strahlte ungeheure Energie aus. In seiner Gegenwart gingen die Uhren schneller, und die im Magnetfeld gekrümmten Elementarteilchenspuren bildeten wieder eine Gerade. Dabei war er kein Magier. Jedenfalls kein praktizierender. Er ging nicht durch Wände, hatte noch nie jemanden transgrediert und baute sich auch keine Doubles, obwohl er unwahrscheinlich sehr viel arbeitete. Er leitete die Abteilung für Technische Wartung, kannte alle im Institut vorhandenen Geräte in- und auswendig und beriet das Kiteshgrader Werk für Magietechnik. Außerdem befasste er sich mit den ausgefallensten Dingen, die mit seinem Beruf nicht das Geringste zu tun hatten.
    Die Geschichte dieses ungewöhnlichen Mannes ist mir erst vor Kurzem zu Ohren gekommen. In unvordenklichen Zeiten war Sabaoth Baalowitsch Odin der führende Magier des Erdballs gewesen. Gian Giacomo und Cristóbal Junta waren Schüler seiner Schüler. In seinem Namen beschwor man Geister. In seinem Namen versiegelte man Gefäße mit Dschinns. König Salomo schrieb ihm begeisterte Briefe und errichtete ihm zu Ehren Tempel. Er vermochte sozusagen alles. Und irgendwann in der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde er tatsächlich allmächtig. Nachdem er die von einem Titanen noch vor der Eiszeit aufgestellte Integraldifferenzialgleichung der Höchsten Vollkommenheit gelöst hatte, vermochte er Wunder jeder Art zu vollbringen. In der Regel sind jedem Magier Grenzen gesetzt. Die einen kommen nicht gegen den Haarwuchs an den Ohren an. Die anderen beherr schen zwar das verallgemeinerte Lomonossow-Lavoisier’sche Gesetz, sind aber machtlos gegenüber dem zweiten Prinzip der Thermodynamik. Die dritten – und das sind die wenigsten – können die Zeit anhalten, wenn auch nur im riemannschen Raum und nicht für lange. Sabaoth Baalowitsch hingegen war allmächtig. Er konnte alles. Und nichts. Denn eine Grenzbedingung der Vollkommenheitsgleichung ist, dass das Wunder niemandem schaden darf. Keinem vernunftbegabten Wesen. Weder auf Erden noch im Universum. Ein solches Wunder aber konnte sich niemand –

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