Gesammelte Werke 6
polterten herein. Vitka, der ausgeschlafen und quicklebendig schien, blätterte in den Beiträgen und machte sich lautstark darüber lustig. Der hochgewachsene Wolodja Potschkin, der als stellvertretender Chefredakteur vor allem aufzupassen hatte, packte Drosd an seiner üppigen Mähne, bog seinen Oberkörper vor, stupste ihn ein paarmal mit der Nase gegen die Wandzeitung und fragte: »Wo ist die Überschrift, Freundchen?« Roman wollte die fertigen Gedichte sehen. Edik, der mit unserer Wandzeitung nichts zu schaffen hatte, trat an den Schrank und klapperte mit den Geräten. Plötzlich schrie der Papagei »Overrsun!«, und alle blieben wie angewurzelt stehen.
Roman starrte den Papagei an. Wieder sah er so aus, als hätte er soeben eine Erleuchtung gehabt. Wolodja Potschkin ließ Drosd los und sagte: »Na, das ist ja ein Ding! Ein Papagei!« Der grobe Vitka griff sofort nach dem Vogel; der aber riss sich los, und Vitka bekam ihn nur am Schwanz zu fassen.
»Lass das, Vitka!«, rief Stella ärgerlich. »Tiere quält man nicht.«
Der Papagei schrie. Alle umringten ihn. Vitka hielt ihn wie eine Taube in der Hand, Stella streichelte seinen Schopf, und Drosd fuhr mit den Fingern sacht durch seine Schwanzfedern. Roman sah mich an.
»Interessant«, sagte er. »Nicht wahr?«
»Wo kommt der her, Sascha?«, fragte Edik höflich.
Ich wies mit dem Kopf auf Janus’ Labor.
»Wozu braucht Janus einen Papagei?«, wollte Edik wissen.
»Das fragst du mich?«, versetzte ich.
»Nein, das war eine rein rhetorische Frage«, erwiderte Edik.
»Wozu braucht Janus zwei Papageien?«, fragte ich.
»Oder drei«, fügte Roman leise hinzu.
Vitka drehte sich zu uns um.
»Wo sind denn die anderen?«, erkundigte er sich und sah sich neugierig um.
Der Papagei in seiner Hand zuckte schwach und versuchte, ihn in den Finger zu beißen.
»Lass ihn los«, forderte ich ihn auf. »Du siehst doch: Er ist nicht gesund.«
Vitka schob Drosd beiseite und setzte den Papagei wieder auf die Waage. Der schüttelte sich und breitete die Flügel aus.
»Na schön«, sagte Roman. »Das klären wir später. Wo sind die Gedichte?«
Stella rasselte flink herunter, was uns bis jetzt eingefallen war. Roman rieb sich am Kinn, Wolodja Potschkin lachte unnatürlich, und Vitka rief mit Kommandostimme: »An die Wand stellen! Mit überschweren Maschinengewehren abknallen. Ob ihr das Reimen noch mal lernt?«
»Reim doch selber«, zischte ich wütend.
»Kann ich nicht«, sagte Vitka. »Ich bin von Haus aus kein Puschkin. Ich bin ein Belinski.«
»Nein, du bist ein Kadaver«, bemerkte Stella.
»Pardon!«, meldete sich Vitka. »Ich verlange, dass die Zeitung eine Rubrik für Literaturkritik erhält. Ich möchte Kritiken schreiben. Und dann nehme ich euch alle auseinander! Auch euer Machwerk über die Datschen reibe ich euch noch mal unter die Nase.«
»Welches?«, fragte Edik.
Vitka zitierte: »›Ich möcht gern eine Datsche baun. Wo? Da muss ich erst mal schaun. Doch das Gewerkschaftskomitee wartet bis zum ersten Schnee.‹ War’s nicht so? Gebt’s ruhig zu!«
»Na und?«, erwiderte ich. »Auch Puschkin ist nicht jeder Vers geglückt. Nicht mal im Lesebuch sind sie alle vollständig abgedruckt.«
»Stimmt«, pflichtete mir Drosd bei.
Roman wandte sich zu ihm um.
»Ob die Überschrift heute noch mal fertig wird?«
»Natürlich«, erwiderte Drosd. »Das K steht ja schon da.«
»Was für ein K? Was willst du denn mit einem K?«
»Wieso, brauchen wir keins?«
»Ich dreh gleich durch«, stöhnte Roman. »Die Wandzeitung heißt: ›Für eine fortschrittliche Magie‹. Und jetzt zeig mir mal, wo da ein K vorkommt!«
Drosd starrte die Wand an und bewegte stumm die Lippen.
»Komisch«, sagte er schließlich. »Wie komme ich bloß auf K? Aber da war doch was mit K!«
Roman wurde fuchsteufelswild und wies Wolodja Potschkin an, alle anzutreiben. Stella und ich wurden Vitkas Kommando unterstellt. Drosd ging mit Feuereifer daran, aus dem K ein stilisiertes F zu zeichnen. Edik Amperjan wollte sich mit einem Psychoelektrometer aus dem Staub machen, wurde aber erwischt, zusammengestaucht und zur Reparatur des Pulverisators verdammt, der für die Erstellung des Sternenhimmels unerlässlich war. Dann kam Wolodja Potschkin an die Reihe. Roman befahl ihm, die Artikel mit der Maschine abzuschreiben und dabei Stil und Orthografie zu verbessern. Roman selbst spazierte im Labor auf und ab und guckte allen über die Schulter.
Die Arbeit lief auf Hochtouren. Wir ersannen
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