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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Erfindung. Noch einmal kam ich dahin, frei und leicht zu atmen – und wie hätte es auch nicht so sein sollen? Ich war ferner angenehm überrascht, mich von den heftigen Schmerzen, die mich bis jetzt geplagt hatten, fast ganz befreit zu fühlen. Ein leises Kopfweh, begleitet von einem Gefühl von Druck und Schwellung in den Hand- und Fußgelenken und im Hals, blieb eigentlich alles, worüber ich noch klagen musste. Es zeigte sich also, dass ein großer Teil der Unannehmlichkeiten, die das Nachlassen des atmosphärischen Drucks begleitet hatten, tatsächlich verschwunden war, wie ich es erwarten durfte, und dass die Schmerzen der letzten zwei Stunden fast ganz auf Rechnung der erschwerten Atmung zu setzen waren.
    Zwanzig Minuten vor neun – also kurz bevor ich die Kautschukkammer endgültig schloss – erreichte das Quecksilber im Barometer, das, wie früher erwähnt, eine erweiterte Konstruktion besaß, seine Grenze oder sank. Es zeigte nun eine Höhe von 132000 Fuß oder fünfundzwanzig Meilen, und somit konnte ich jetzt die Erde in einer Ausdehnung von mindestens dem dreihundertundzwanzigsten Teil ihrer Gesamtoberfläche überblicken. Um neun Uhr war im Osten wiederum kein Land mehr zu sehen, vorher hatte ich mich aber noch orientieren können, dass der Ballon eilig nach Nordnordwest trieb. Der Ozean unter mir besaß noch immer seine scheinbare Konkavität, obwohl die Aussicht oft durch hin- und herziehende Wolkenmassen unterbrochen wurde.
    Um halb zehn warf ich versuchsweise eine Handvoll Federn durch das Ventil ins Freie. Sie schwebten nicht fort, wie ich erwartet hatte, sondern fielen wie eine Kugel zusammengeballt und mit größter Schnelligkeit senkrecht hinunter, so dass sie in wenigen Sekunden außer Sicht kamen. Zuerst wusste ich nicht, was von dieser sonderbaren Erscheinung zu halten sei, da ich nicht gut annehmen konnte, dass meine Geschwindigkeit der Aufwärtsbewegung so plötzlich und außerordentlich zugenommen haben sollte. Bald aber fiel mir ein, dass die Atmosphäre jetzt viel zu leicht war, um auch nur die Federn zu tragen, dass diese tatsächlich mit äußerster Schnelligkeit fielen und es nicht nur so schien; mich hatte nur die doppelte Geschwindigkeit ihres Fallens und meines Steigens verblüfft.
    Um zehn Uhr fand ich, dass es eigentlich momentan nichts gab, meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Alles ging nach Wunsch, und ich war überzeugt, dass der Ballon mit stets zunehmender Geschwindigkeit nach oben stieg, wenn ich auch kein Mittel mehr besaß, den Fortschritt festzustellen. Ich fühlte weder Schmerz noch Unbehagen und war zuversichtlicher als je, seitdem ich Rotterdam verlassen hatte; bald prüfte ich den Stand meiner verschiedenen Apparate, bald erneuerte ich die Luft in der Kammer. Letztere Maßnahme beschloss ich in regelmäßigen Zwischenräumen von vierzig Minuten vorzunehmen, mehr um mir mein Wohlbefinden zu erhalten, als weil etwa eine so häufige Erneuerung unbedingt nötig gewesen wäre.
    Währenddessen konnte ich es nicht lassen, Zukunftsbetrachtungen anzustellen. Die Phantasie erging sich in den unbekannten und traumhaften Regionen des Mondes; sie fühlte sich ganz und gar ohne Fesseln und durchstreifte nach Gefallen die stets wechselnden Wunder eines schattenhaften und wandelbaren Landes. Bald waren es eisgraue und ehrwürdige Wälder, schroffe Abgründe und Wasserfälle, die lärmend in bodenlose Klüfte stürzten, bald kam ich plötzlich in stille Mittagseinsamkeiten, in die nie ein Himmelswind eindrang und wo weite Mohnfelder und schlanke, liliengleiche Blumen sich in öde Weiten verloren, alle reglos und schweigend für immer. Dann wieder reiste ich weit hinunter in eine andere Gegend, wo alles ein einziger trüber, dunstiger See mit einem Horizont von Wolken schien. Doch nicht nur diesen Phantasien war meine Seele unterworfen. Grauen und Entsetzen qualvollster Art packten sie zuweilen und erschütterten ihre Tiefen schon allein durch die Annahme ihrer Möglichkeit. Doch ich ließ meine Gedanken nicht lange bei derartigen Betrachtungen verweilen, sondern hielt die wirklichen und greifbaren Gefahren der Reise für groß genug, ihnen meine volle Aufmerksamkeit zu widmen.
    Als ich um fünf Uhr nachmittags wieder einmal damit beschäftigt war, die Luft in der Kammer zu erneuern, benutzte ich die Gelegenheit, die Katze und ihre Jungen durch die Ventilöffnung zu beobachten. Die Katzenmutter schien wieder sehr zu leiden, und ich zögerte nicht, ihr Unbehagen hauptsächlich den

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