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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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befielen mich denn doch wohlbegründete Zweifel. Es war ja ganz unmöglich! Wie konnte ich denn so schnell gefallen sein! Und ferner, wenn ich auch tatsächlich der Fläche drunten schnell näher kam, so geschah dies doch keineswegs mit der Geschwindigkeit, die sich mit der zuerst empfundenen auch nur vergleichen ließ. Diese Betrachtung diente meinem verwirrten Hirn zur Beruhigung, und ich kam schließlich dahin, mir die Erscheinung richtig zu erklären. Wahrhaftig, die heftige Bestürzung musste mich zunächst meiner gesunden Sinne beraubt haben, sonst hätte ich sofort erkennen müssen, welch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Weltkörper unter mir und der Oberfläche meiner Mutter Erde bestand. Die Erde befand sich jetzt tatsächlich mir zu Häupten und wurde durch den Ballon völlig verdeckt, während der Mond – der Mond selber in all seinem Glanz – unter mir, zu meinen Füßen lag!
    Diese verblüffende Änderung im Stand der Dinge war aber schließlich vielleicht von allen meinen Abenteuern das, das am wenigsten ein Erstaunen rechtfertigte und einer Erklärung bedurfte. Denn das »bouleversement« an sich war nicht nur selbstverständlich und unvermeidlich, sondern längst von mir erwartet – für den Zeitpunkt nämlich, wo die Anziehungskraft des Planeten von der des Trabanten aufgehoben werden – oder, genauer ausgedrückt, die Gravitation des Ballons zur Erde weniger stark sein würde als seine Gravitation zum Mond. Aber wie schon erwähnt, war ich gerade aus einem tiefen Schlummer erwacht, meine Sinne hatten ihre volle Klarheit noch nicht erlangt, und ich sah mich plötzlich einer überraschenden, vollendeten Tatsache gegenüber, die, wenn auch erwartet, doch nicht in diesem Augenblick von mir erwartet wurde. Die Umdrehung selbst musste natürlich ruhig und allmählich vor sich gegangen sein, und selbst wenn ich zur Zeit des Ereignisses wachgewesen wäre, so ist es keineswegs sicher, dass ich an irgendeinem Vorgang die Umkehrung gemerkt hätte – etwa an irgendeiner besonderen Unbequemlichkeit oder an einer auffallenden Veränderung an meinen Apparaten.
    Es ist wohl überflüssig, zu sagen, dass meine Aufmerksamkeit sich, sobald ich die Lage richtig erfasst und das lähmende Entsetzen überwunden hatte, in erster Linie einer Betrachtung der allgemeinen Gestaltung des Mondes zuwandte. Er lag dort unten wie eine Landkarte, und obgleich er mir noch immer sehr weit entfernt schien, so zeigten sich die Unebenheiten seiner Oberfläche doch überraschend und geradezu unerklärlich deutlich. Das gänzliche Fehlen von Meeren, Seen, ja sogar Flüssen oder sonstigen Wasserstrecken fiel mir sogleich als der eigenartigste Zug seiner geologischen Beschaffenheit auf. Dennoch bemerkte ich sonderbarerweise riesige Flächen von entschieden alluvialem Charakter; der weitaus größte Teil der sichtbaren Hemisphäre war jedoch mit zahllosen vulkanischen Bergen von konischer Form bedeckt, die mehr künstlich aufgerichteten als natürlichen Erhebungen glichen. Der bedeutendste von ihnen erreichte nicht mehr als dreidreiviertel Meilen senkrechter Höhe; übrigens würde eine Karte des vulkanischen Gebietes der Campi Phlegräi Euren Exzellenzen eine bessere Vorstellung des allgemeinen Mondbildes geben als mein Versuch, eine Beschreibung davon zu liefern. Die meisten Berge befanden sich offenbar im Zustand der Eruption, und einen grausigen Begriff ihres Wütens und ihrer Gewalt gab mir das wiederholte Vorüberdonnern emporgeschleuderter Meteorsteine, die jetzt in immer unheimlicherer Häufigkeit an meinem Ballon vorüberschossen.
    18. April. Heute fand ich den Umfang des Mondes um vieles vergrößert, und meine Fallgeschwindigkeit, die unbedingt gestiegen war, erfüllte mich mit Besorgnis. Man wird sich erinnern, dass ich bei meinen ersten Berechnungen über die Möglichkeit einer Reise zum Mond das Vorhandensein einer in ihrer Dichtigkeit dem Volumen des Himmelskörpers entsprechenden Atmosphäre angenommen hatte, dies sogar trotz vieler gegenteiliger Theorien und, wie man hinzufügen kann, trotz der allgemeinen Annahme, dass es überhaupt keine Mondatmosphäre gäbe. Aber außer dem, was ich bereits über den Enckeschen Kometen und das Zodiakallicht mitgeteilt habe, war ich in meiner Auffassung noch durch gewisse Beobachtungen des Herrn Schroeter aus Lilienthal bestärkt worden. Er beobachtete den zunehmenden Mond an seinem dritten Erscheinungstag abends bald nach Sonnenuntergang, ehe die dunkle Partie sichtbar war,

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