Gesammelte Werke
dich nicht über meine Abwesenheit beunruhigst. Ich werde eine Zeitlang, vielleicht drei oder vier Tage, nicht herunterkommen können. Oben geht alles am Schnürchen. Wenn ich die Falltür zugemacht habe, musst du die Leine entlang kriechen bis zu der Stelle, wo der Nagel eingetrieben ist, ich habe eine Uhr hingehängt, da du ja Tag und Nacht nicht unterscheiden kannst. Wie lange denkst du wohl, dass du begraben bist? Nur drei Tage; heute haben wir den Zwanzigsten. Ich würde dir die Uhr hinbringen, aber ich fürchte vermisst zu werden.« Nach diesen Worten stieg er wieder hinauf. Etwa eine Stunde nach seinem Verschwinden fühlte ich deutlich, wie das Schiff sich bewegte, und ich wünschte mir Glück zum endlichen guten Beginnen der Fahrt. Ich beschloss, mir so wenig Sorgen als möglich zu machen und die Entwicklung der Dinge abzuwarten, bis ich in die Lage käme, meinen Koffer mit einer geräumigen, wenn auch kaum bequemeren Kabine zu vertauschen. Mein erster Gedanke war die Uhr. Ich ließ das Licht brennen und tastete mich durch ungezählte Windungen, von denen einige mich nach langem Fortkriechen wieder in die Nähe meines früheren Standortes brachten. Schließlich erreichte ich den Nagel, bemächtigte mich der Uhr und kehrte wohlbehalten mit ihr zurück. Nun sah ich die Bücher durch, mit denen man mich so vorsorglich versehen hatte, und wählte die Expedition von Lewis und Clarke nach der Mündung des Columbiaflusses. Damit unterhielt ich mich eine Zeitlang, bis ich müde wurde, die Kerze mit großer Sorgfalt auslöschte und bald in einen gesunden Schlaf verfiel.
Als ich erwachte, fühlte ich eine sonderbare Verwirrung in mir, und einige Zeit ging hin, ehe ich alle die verschiedenen Umstände meiner Lage mir ins Gedächtnis zurückrufen konnte. Allmählich jedoch fielen sie mir wieder ein. Ich machte Licht und sah nach der Uhr; doch sie war abgelaufen, und ich konnte daher nicht erfahren, wie lange ich geschlafen hatte. Meine Glieder waren furchtbar steif, und ich musste mich, um sie zu beleben, abermals zwischen die Körbe stellen. Auf einmal empfand ich einen geradezu rasenden Hunger; ich entsann mich des kalten Hammelfleisches, von dem ich vor dem Schlafengehen mit großem Appetit gegessen hatte. Wie erstaunte ich, als ich entdeckte, dass es in völlige Fäulnis übergegangen war! Diese Tatsache beunruhigte mich entsetzlich; denn ich brachte sie in Zusammenhang mit meinem verworrenen Erwachen und begann zu vermuten, ich müsste unmäßig lange geschlafen haben. Die schlechte Luft im Kielraum mochte etwas damit zu tun haben; sie konnte auf die Dauer Ursache der schlimmsten Wirkungen sein. Mein Kopf schmerzte mich furchtbar; ich meinte nur mit Mühe Atem zu schöpfen; kurz, eine Unmenge düsterer Empfindungen bedrückte mich. Doch durfte ich es nicht wagen, durch Öffnen der Falltür oder sonst wie Aufsehen zu erregen, und nachdem ich die Uhr aufgezogen hatte, suchte ich mich in Geduld zu fassen, so gut es eben ging.
Während der endlosen vierundzwanzig Stunden, die nun folgten, kam niemand mir zu Hilfe, und ich sah mich veranlasst, Augustus der gröbsten Rücksichtslosigkeit anzuklagen. Besonders erschreckte mich, dass in meinem Krug das Wasser auf etwa eine halbe Pinte zurückgegangen war und dass ich an starkem Durst litt, da ich nach dem Verlust meiner Hammelkeule reichlich viel Bologneser Wurst gegessen hatte. Eine gewaltige Unruhe befiel mich, ich konnte mich nicht länger durch die Lektüre meiner Bücher zerstreuen. Auch überwältigte mich ein Verlangen nach Schlaf, aber ich zitterte bei dem Gedanken, ihm nachzugeben, falls ein verderblicher Einfluss, ähnlich dem des Kohlengases, in der stickigen Luft des Kielraums sich bemerkbar machen sollte. Inzwischen belehrte mich das Stampfen der Brigg, dass wir schon weit auf dem Ozean waren, und ein dumpfer, summender Laut, der wie aus ungeheurer Ferne kam, überzeugte mich, dass da draußen eine nicht alltägliche Kühlung wehte. Ich konnte für Augustus’ Abwesenheit keinen Grund ausfindig machen. Wir waren gewiss weit genug auf unserer Reise gekommen, um mein Versteck unnötig erscheinen zu lassen. Vielleicht war ihm ein Unfall zugestoßen, aber das schien ja kein Grund, mich so lange eingesperrt zu halten, es sei denn, dass er plötzlich gestorben oder über Bord gestürzt war, und bei dieser Vorstellung konnte ich nicht mit irgendwelcher Geduld verweilen. Es war möglich, dass wir konträren Wind gehabt hatten und uns nahe bei Nantucket befanden.
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