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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Allein wenn das der Fall gewesen wäre, so hätte die Brigg wiederholt wenden müssen; und da sie beständig nach Backbord neigte, musste sie die ganze Zeit über vor einer starken Brise am Steuerbord gesegelt sein. Übrigens, falls wir noch in der Nähe der Insel waren, hätte Augustus mich ja besuchen und von diesem Umstand unterrichten können. Indem ich so über die Schwierigkeiten meiner einsamen und freudlosen Lage nachdachte, beschloss ich, noch einmal vierundzwanzig Stunden auszuharren und, wenn dann noch keine Hilfe käme, die Falltür aufzusuchen, um entweder mit meinem Freund zu verhandeln oder wenigstens etwas frische Luft und Wasser aus seiner Kabine zu erhalten. Während ich noch so im Nachdenken war, fiel ich allen meinen Anstrengungen zum Trotz in einen Zustand tiefen Schlafes, der eher einer Betäubung glich. Meine Träume waren von der fürchterlichsten Art. Jeglichem Unheil, jedem Entsetzen wurde ich zur Beute. Neben anderen Schrecknissen sah ich mich von Dämonen, deren Aussehen ebenso gespenstisch als blutdürstig war, unter ungeheueren Kissen erstickt. Gigantische Schlangen umwanden mich und sahen mich dabei mit ihren schauerlichen, glühenden Augen an. Dann dehnten sich Wüsten vor mir aus, ohne Grenzen, namenlos öde und voll feierlichen Grausens. Endlos hohe Baumstämme, grau und ohne Laub, erhoben sich in unendlicher Folge, so weit der Blick zu reichen vermochte. Ihre Wurzeln verbargen sich in weiten Morästen, deren trübselige Gewässer in tiefster Schwärze bewegungslos und vollkommen entsetzenerregend vor mir lagen. Und die seltsamen Bäume schienen mit menschlichem Leben begabt, und indem sie ihre dürren Astgerippe wie Arme bewegten, flehten sie im Ton grässlichster Angst und Verzweiflung die schweigenden Wasser um Erbarmen an. Dann wandelte sich die Szene; ich stand, nackt und allein, inmitten des brennenden Sandmeers der Sahara. Zu meinen Füßen kauerte ein grimmer tropischer Löwe. Auf einmal öffneten sich seine wilden Augen, und sie fielen sogleich auf mich. Mit einem krampfhaften Ruck richtete er sich auf und entblößte seine scheußlichen Zähne. Im nächsten Augenblick barst sein roter Schlund in einem Gebrüll, das dem Donner des Firmaments glich, und ich stürzte mit Ungestüm auf den Boden hin. Ich erstickte einen Krampf des Entsetzens und erkannte endlich, dass ich halb wach war. So schien mein Traum denn mehr als ein Traum zu sein. Jetzt wenigstens war ich wieder Herrscher über meine Sinne. Die Tatzen eines riesenhaften, eines wirklichen Ungeheuers drückten schwer auf meine Brust, sein heißer Atem fauchte in mein Ohr, seine weißen, grauenhaften Reißzähne schimmerten vor meinen Augen in der Finsternis.
    Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht sprechen, hingen auch tausend Leben von der Regung eines Gliedes, vom Aussprechen einer Silbe ab. Das Tier, welcher Art es auch sein mochte, blieb in seiner Stellung, ohne sogleich zur Gewalt überzugehen, während ich vollkommen hilflos und, wie ich glaubte, sterbend unter seinen Pranken lag. Die Kräfte des Leibes und der Seele verließen mich – mit einem Wort, ich war daran, zugrunde zu gehen vor namenlosem Entsetzen. Mein Hirn wirbelte, mir wurde todesübel, meine Sehkraft schwand, selbst die glotzenden Augäpfel über mir begannen zu verblassen. Mit einer letzten heftigen Anstrengung hauchte ich ein kurzes Gebet und machte mich bereit zu sterben. Der Klang meiner Stimme schien all die schlummernde Wut des Geschöpfes wachzurufen. Es stürzte sich der Länge nach über meinen Körper; aber wie erstaunte ich, als es, unter lang gedehntem, leisem Winseln, mit dem größten Eifer und allen Zeichen grenzenloser Freude und Zärtlichkeit mir Gesicht und Hände zu lecken sich anschickte! Ich war verwirrt, verloren in Verwunderung; aber ich konnte mich über das eigenartige Winseln meines Neufundländers Tiger, über die wunderliche Manier, in der er mich zu liebkosen pflegte, nicht einen Augenblick täuschen. Er war es. Das Blut raste mir nach den Schläfen. Mit betäubender Gewalt überfiel mich die Empfindung, gerettet, von neuem Leben erfüllt zu sein. Rasch erhob ich mich von der Matratze, warf mich an den Hals meines treuen Gesellen und befreite meine Brust vom langen Drucke durch eine Flut der leidenschaftlichsten Tränen.
    Wie schon zuvor in einem ähnlichen Fall waren meine Begriffe in einem Zustand größter Unklarheit und Verwirrung. Lange Zeit konnte ich keinen Gedanken mit dem anderen verknüpfen; aber nach und

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