Gesammelte Werke
nach, obwohl sehr langsam, kehrte mir die Denkkraft wieder, und ich vermochte mancherlei Umstände ins Gedächtnis zurückzurufen. Tigers Anwesenheit konnte ich mir nicht erklären; und nachdem ich mir über die Ursache seines Erscheinens vergeblich den Kopf zerbrochen hatte, musste ich mich mit der Freude begnügen, dass er hier war, meine traurige Einsamkeit zu teilen, mich durch seine Liebkosungen zu trösten. Die meisten Menschen lieben ihre Hunde; aber meine Zärtlichkeit für Tiger war nichts Alltägliches; und in der Tat erwies sich kein Geschöpf je einer solchen Neigung würdiger. Sieben Jahre lang war er mein unzertrennlicher Gefährte gewesen, und oft schon hatte er die edlen Eigenschaften bewährt, die wir am Hund schätzen. Als er ganz klein war, hatte ich ihn einem kleinen Nantucketer Bösewicht entrissen, der ihn am Strick ins Wasser schleppen wollte; und drei Jahre später belohnte mich der erwachsene Hund, indem er mich vor dem Knittel eines Straßenräubers bewahrte.
Die Uhr war wiederum abgelaufen; doch das wunderte mich nicht im Geringsten, da ich aus dem sonderbaren Zustand meiner leiblichen Empfindungen die Gewissheit schöpfte, dass ich abermals sehr lange geschlafen hatte; wie lange, konnte ich natürlich nicht sagen. Ich brannte im Fieber, der Durst war nahezu unerträglich. Ich durchsuchte den Koffer mit der Hand nach dem geringen Wasservorrat, der mir noch übrig geblieben war, denn, ich hatte kein Licht, die Kerze war ausgebrannt, und die Phosphorhölzer konnte ich nicht finden. Leider war der Krug leer, da Tiger ohne Zweifel, der Versuchung nachgebend, ihn ausgetrunken hatte; den Rest des Hammelfleisches hatte er ebenfalls gefressen, denn der Knochen lag, sauber abgenagt, nahe der Öffnung des Koffers. Jenes verdorbene Fleisch konnte ich wohl entbehren, aber mein Herz erbebte bei dem Gedanken an das Wasser. Ich war von solcher Schwäche, dass ich wie in einem kalten Fieber bei der kleinsten Bewegung oder Anstrengung von Schauern gerüttelt wurde; dazu kam noch, dass die Brigg heftig stampfte und rollte, so dass die Ölfässer jeden Augenblick von meinem Koffer herunterzufallen und den Aus- oder Eingang zu versperren drohten. Auch litt ich furchtbar an der Seekrankheit. All dies bewog mich, auf jede Gefahr hin die Falltür aufzusuchen und sofortige Hilfe zu erlangen, bevor mir jede Fähigkeit dazu schwinden würde. Nachdem dieser Entschluss gefasst war, fühlte ich wieder nach der Phosphorschachtel und den Kerzen. Die Schachtel fand ich nach einigem Suchen, die Kerzen aber nicht so bald wie ich gehofft hatte, denn ich entsann mich nicht genau des Ortes, an den ich sie gelegt, und so gab ich das Suchen vorläufig auf, befahl Tiger Ruhe an und begann sogleich meinen Gang nach der Falltür.
Bei diesem Versuch kam meine jammervolle Schwäche mehr denn je an den Tag. Mit der äußersten Mühe nur konnte ich kriechend den Weg zurücklegen, und wiederholt brach ich vollständig zusammen; dann fiel ich aufs Gesicht und verharrte minutenlang in einem Zustand, der an Bewusstlosigkeit grenzte. Doch kämpfte ich mich langsam weiter, in der steten Furcht, ich könnte inmitten dieses Chaos von Gerümpel in Ohnmacht sinken, was unbedingt zu meinem Tod führen musste. Endlich aber drang ich mit aller Gewalt vorwärts und schlug mit der Stirn heftig gegen die scharfe Ecke eines Eisenkorbes. Nur wenige Augenblicke betäubte mich dieser Zufall; doch zu meiner unaussprechlichen Betrübnis zeigte es sich, dass die schlingernde Bewegung des Schiffes den Korb derart über meinen Weg geworfen hatte, dass der Durchgang vollkommen versperrt war. Mit der furchtbarsten Anstrengung konnte ich ihn keinen Zollbreit fortbewegen, da er zwischen Koffern und Schiffsgerät fest eingekeilt lag. Ich musste daher, trotz meiner Schwäche, entweder der Führung durch die Leine entraten oder das Hindernis zu übersteigen suchen. Jene erste Möglichkeit bot zuviel Schwierigkeiten und Schrecken, als dass ich ohne Schauder daran hätte denken können. Wagte ich das in meinem gegenwärtigen Zustand, so würde ich unbedingt die Richtung verlieren und auf elende Weise in den trostlosen und ekelhaften Irrgängen des Kielraums zugrunde gehen. Daher nahm ich ohne Zögern alle Kraft, allen Mut, die mir noch geblieben waren, zusammen, umso gut als irgend möglich über den Korb hinwegzuklimmen.
In dieser Absicht richtete ich mich auf und fand das Unternehmen noch schwieriger, als meine Furcht es mir gezeigt hatte. Auf jeder Seite des
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