Gesammelte Werke
über den Rücken strich, bemerkte ich eine leichte Erhebung der Haare, die sich quer darüber hinzog. Mit dem Finger nachtastend, entdeckte ich eine Schnur, die sich um den Leib des Hundes wickelte. Bei näherer Untersuchung kam ich auf einen Streifen, der nach meinem Gefühl ein Stück Briefpapier schien, das mit der Schnur unmittelbar unter der linken Schulter des Tieres befestigt war.
Drittes Kapitel
Sogleich kam mir der Gedanke, das Papier sei ein Brief von Augustus; irgendein unvorhergesehener Zufall habe ihn gehindert, mich aus meinem Kerker zu befreien, und so habe er diesen Weg gewählt, um mich über den Stand der Dinge zu unterrichten. Vor Eifer bebend ging ich nochmals auf die Suche nach den Phosphorhölzchen und Kerzen. Wohl eine Stunde lang forschte ich vergeblich nach den fehlenden Gegenständen; es war eine fruchtlose, ärgerliche Jagd; gewiss noch nie hat es einen so qualvollen Zustand von Besorgnis und Spannung gegeben. Endlich, endlich, während ich meinen Kopf dicht am Ballast nahe der Öffnung des Koffers hatte, bemerkte ich in der Richtung des Matrosenlogis ein schwaches glimmendes Leuchten. Höchst überrascht trachtete ich mich ihm zu nähern, da es nur wenige Schritte von mir entfernt schien. Kaum hatte ich in dieser Absicht eine Bewegung gemacht, da verlor ich den Schimmer völlig aus den Augen, und ich musste, um ihn wieder zu Gesicht zu bekommen, mich zu dem Koffer bis an meinen früheren Standort hinfühlen. Indem ich jetzt meinen Kopf vorsichtig hin und her wandte, entdeckte ich, dass ich mich dem Licht nähern konnte, wenn ich langsam und behutsam in entgegengesetzter Richtung ging. Auf einmal hatte ich’s vor mir (nachdem ich mich durch unzählige Windungen durchgefochten hatte) und erkannte, dass es von Bruchstücken meiner Streichhölzer ausging, die in einem leeren, auf die Seite gerollten Fass lagen. Wie kamen sie nur an diesen Ort? Meine Hand erfasste zwei oder drei Stückchen Kerzenwachs, die der Hund benagt zu haben schien. Sofort wurde mir klar, dass er meinen Kerzenvorrat aufgefressen hatte, und mir blieb keine Hoffnung mehr, Augustus’ Mitteilungen jemals lesen zu können! Die geringen Wachsreste waren so arg mit anderem Zeug vermengt, dass ich daran verzweifelte, mich ihrer noch zu bedienen, und sie dort liegen ließ. Das bisschen Phosphor sammelte ich, so gut ich konnte, und kehrte damit unter vielen Schwierigkeiten zu meinem Koffer zurück, wo Tiger die ganze Zeit über geblieben war.
Was nun tun? Ich konnte es nicht sagen. Der Kielraum war von so großer Finsternis erfüllt, dass ich meine Hand nicht zu sehen vermochte, selbst wenn ich sie mir dicht vor die Augen hielt. Den weißen Papierstreifen konnte ich knapp wahrnehmen, doch nicht, wenn ich gerade auf ihn blickte; ich musste die äußeren Teile der Netzhaut gegen ihn kehren, das heißt, ihn schief ansehen, bevor er einigermaßen sichtbar wurde. Man stelle sich danach vor, wie dunkel mein Gefängnis sein musste, und der Brief meines Freundes (falls es ein Brief von ihm war) schien mich nur in ärgere Trübsal stürzen zu wollen, indem er mein geschwächtes und aufgeregtes Gemüt noch mehr und ohne Zweck beunruhigte. Umsonst sann mein Hirn auf tausend unsinnige Arten, Licht zu schaffen, Mittel, wie sie ein Mensch im Opiumtraum erdenken würde, wenn jedes abwechselnd als das vernünftigste und das tollste erscheint, gerade wie die Fähigkeiten des logischen Denkens und der Phantasie wechselnd aufflackern, indem eine die andere verdrängt. Schließlich tauchte ein Gedanke auf, der mir verständig erschien, und ich wunderte mich mit Recht, dass ich ihn nicht schon vorher gefunden hatte. Ich legte den Streifen auf den Rücken eines Buches und sammelte auf ihm die Reste der Phosphorhölzer. Dann verrieb ich rasch und stetig das Ganze mit der Fläche meiner Hand. Augenblicklich verbreitete sich ein klares Licht über das Blatt; und wäre etwas Geschriebenes darauf gewesen, ich hätte es sicher ohne Mühe lesen können. Doch stand keine Silbe darauf – ich blickte auf ein trostloses weißes Blatt, die Beleuchtung verging binnen weniger Sekunden, und mit ihr erstarb der Mut in meiner Seele.
Ich sagte schon mehr als einmal, dass mein Geist seit langem in einer Verfassung war, die an Schwachsinn grenzte. Gewiss gab es Zwischenräume völligen Vernünftigseins, mitunter sogar, wenn auch selten, eine Anwandlung von Energie. Tagelang hatte ich ja die nahezu verpestete Luft des Kielraums geatmet, des Kielraums in einem
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