Gesammelte Werke
Walfängerschiff! Und mein Wasservorrat war dürftig gewesen. Die letzten vierzehn, fünfzehn Stunden hatte ich ohne Wasser und Schlaf auskommen müssen. Aufregende gesalzene Speisen waren meine hauptsächlichste und seit dem Verlust der Hammelkeule meine einzige Kost gewesen, wenn man den Schiffszwieback ausnimmt; und der nützte mir nichts, da er zu hart für meinen geschwollenen und ausgedörrten Schlund war. Ich fieberte heftig, ich war überhaupt bedenklich krank. So möge es sich erklären, dass viele elende Stunden voller Mutlosigkeit vergingen, bevor es mir einfiel, dass ich ja nur eine Seite des Blattes untersucht hatte! Ich will es nicht versuchen, meine Wut zu schildern (denn Zorn schien das vorherrschende Gefühl zu sein), als die furchtbare Dummheit, die ich begangen hatte, sich plötzlich vor meinem Bewusstsein aufhellte. Der Fehler selbst wäre unbedeutend gewesen, hätte nicht meine eigene Torheit und Übereilung das Gegenteil bewirkt; in meiner Enttäuschung hatte ich das Papier in Stücke zerrissen und verstreut, der Himmel mochte wissen wohin.
Tigers Klugheit rettete mich aus der ärgsten Not. Nach langem Herumsuchen hatte ich ein Fetzchen des Briefes gefunden; ich hielt es dem Hund unter die Nase und trachtete, ihm beizubringen, dass er den Rest holen müsse. Zu meiner Verwunderung (denn ich hatte ihn keines der üblichen Kunststückchen gelehrt) schien er sofort auf meine Absicht einzugehen und fand nach einigem Schnüffeln bald einen größeren Teil des Briefes. Den brachte er mir, machte eine Pause, rieb seine Nase an meiner Hand und schien auf Beifall zu warten. Ich streichelte ihm den Kopf, und sogleich machte er sich wieder auf die Suche. Nach einigen Minuten kam er mit einem großen Streifen zurück; das Blatt war nun vollständig, denn ich hatte es offenbar nur in drei Teile zerrissen. Glücklicherweise fand ich bald die Phosphorreste, da ein ungewisser Schimmer noch von ihnen ausging. Mein Missgeschick hatte mich gelehrt, vorsichtig zu sein, und ich nahm mir jetzt die Zeit zur Überlegung. Wahrscheinlich standen Worte auf der noch nicht untersuchten Seite des Blattes, aber welche war das? Ein Zusammensetzen der Teile erlaubte keinen Schluss in dieser Hinsicht, obgleich ich überzeugt war, dass die Worte (falls solche vorhanden waren) alle auf einer Seite und in richtiger Verbindung stehen müssten. Den zweifelhaften Punkt aufzuklären, das war die allernotwendigste Forderung; denn der noch übrige Phosphor hätte für einen dritten Versuch nicht ausgereicht. Wieder legte ich das Papier auf ein Buch und saß einige Minuten in tiefem Nachdenken über der Sache. Zuletzt fiel es mir bei, die beschriebene Seite könnte sich einem feinen Tastsinn durch eine gewisse Unebenheit der Oberfläche verraten. Ich beschloss, die Probe zu machen, und strich mit dem Finger sehr sorgfältig über die Seite, die sich zuerst darbot. Jedoch war nichts wahrzunehmen. Ich drehte das Blatt um. Abermals ließ ich den Zeigefinger vorsichtig darübergehen und bemerkte bald, dass ihm ein leichter Schimmer nachzufolgen schien. Er kam, das wusste ich, von einigen winzigen Teilchen des Phosphors her, mit dem ich vorher das Papier bedeckt hatte. Nur auf der unteren Seite konnte also die Schrift (falls eine solche vorhanden war) sich befinden. Wieder kehrte ich das Blatt um, behandelte es in gleicher Art; wie früher zeigte sich das Leuchten, und jetzt erschienen mehrere Zeilen in einer großen Handschrift, und zwar mit roter Tinte geschrieben. Der Schimmer war stark genug, verschwand aber augenblicklich. Dennoch hätte ich Zeit gehabt, die drei Sätze durchzulesen, denn drei waren es, wäre ich nicht so furchtbar aufgeregt gewesen. In meiner Hast, alles auf einmal lesen zu wollen, erfasste ich nur die Schlussworte, und diese lauteten:
»– – – Blut – wenn Dir Dein Leben lieb ist, bleib still liegen.«
Hätte ich den vollständigen Inhalt der Mitteilung, die ganze Bedeutung der Mahnung meines Freundes in mich aufnehmen können, so würde die Enthüllung von Geschehnissen voll unerhörten Unheils mich nicht mit einem Zehntel jenes peinigenden und dabei rätselreichen Grauens erfüllt haben, das dies Bruchstück einer Warnung in mein Gemüt pflanzte. »Blut« noch dazu, dies Wort vor allen Worten – zu jeder Zeit so gesättigt mit Geheimnissen, Schrecknissen und Leiden –, wie erschien es jetzt so dreifach bedeutsam, wie schwer und kalt (losgelöst von irgendwelchen vorangeschickten Worten, die es näher
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