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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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in schrankenlosem Vertrauen enthüllte. Er hatte angesichts unüberwindlicher Hindernisse seinen Versuch, zu mir durchzudringen, bereits aufgegeben und beschlossen, ins Vorderkastell zurückzukehren. Man sollte ihn nicht gänzlich verdammen, ohne die quälenden Umstände, die ihn hemmten, in Betracht zu ziehen. Die Nacht war am Schwinden; seine Abwesenheit konnte entdeckt werden; ja, das musste der Fall sein, wenn er nicht bei Tagesanbruch in der Koje war. Die Kerze verflackerte bereits; es würde daher sehr schwer sein, im Dunkeln den Weg zur Luke wiederzufinden. Dann hatte er auch alle Ursache, mich für tot zu halten; was aber hätte es mir genützt, wenn er ohne Zweck einer Welt von Mühen begegnet wäre? Ich war jetzt elf Tage und Nächte unten; ich besaß kein Wasser außer dem in jenem Krug enthaltenen und würde schwerlich damit gespart haben, da ich Grund hatte, auf baldige Erlösung zu hoffen. Auch musste ihm, der aus der verhältnismäßig freien Luft des Matrosenlogis kam, die Atmosphäre im Kielraum geradezu giftig und viel unerträglicher erscheinen, als ich sie beim Beziehen des Raumes empfunden hatte; waren doch die Luken vorher monatelang offen gewesen. Rechnet man noch hinzu die eben erlebten Szenen voll Blutvergießens und Schreckens, seine Einschließung und seine schlechte Ernährung, sein knappes Entrinnen aus Lebensgefahr und die fragliche Sicherheit, in der er sich noch befand – lauter Umstände, die wohl geeignet sind, jede Willenskraft zu brechen –, so wird es dem Leser leicht fallen, sein scheinbares Versagen eher mit Betrübnis als mit Entrüstung zu betrachten.
    Deutlich hörte er den Krach der Flasche, aber er war nicht sicher, ob der Laut aus dem Kielraum gekommen war. Der Zweifel genügte ihm jedoch, um ihn zur Fortsetzung seiner Bemühungen anzuspornen. Er kletterte fast bis zum Zwischendeck empor und rief dann so kräftig als möglich meinen Namen, indem er ein Nachlassen im Gestampfe des Schiffes sich zunutze machte, ohne für den Augenblick daran zu denken, dass man ihn oben hören könne. Der Ruf erreichte mich, wie man weiß; aber die entsetzliche Aufregung nahm mir jede Fähigkeit, zu antworten. Nun hielt er seine schlimmsten Besorgnisse für begründet und machte sich, ohne Zeit zu verlieren, auf den Rückweg. In der Eile warf er ein paar Kisten um, das war der Lärm, den ich hörte. Dann fiel mein Messer zu Boden, und das machte ihn stutzig. Sogleich kehrte er um, erklomm abermals die verstauten Kisten und rief in einer Pause des Sturmes laut meinen Namen. Diesmal wurde es mir möglich, ihm Antwort zu geben. Hoch erfreut über die Entdeckung, dass ich noch am Leben war, entschloss er sich jetzt, jeder Schwierigkeit Trotz zu bieten. Er entwand sich dem Gerümpel, das ihn gehemmt hatte, fand endlich einen besseren Durchgang und erreichte in einem Zustand völliger Erschöpfung mein Versteck.
Sechstes Kapitel
    Jetzt berichtete mir Augustus nur die wichtigsten seiner Erlebnisse. Erst später füllte er die Erzählung mit Einzelheiten aus. Er fürchtete, vermisst zu werden, und ich war in wilder Ungeduld, endlich mein schreckliches Gefängnis verlassen zu dürfen. Wir entschlossen uns, sofort nach dem Loch in der Scheidewand unseren Weg zu nehmen; dort sollte ich vorläufig bleiben, während er erkunden ging. Tiger im Koffer zu lassen, war uns ein unerträglicher Gedanke; doch was sollten wir sonst mit ihm beginnen? Er schien jetzt ganz ruhig, und selbst wenn wir das Ohr an die Kofferwand legten, konnten wir nicht seinen Atem hören; ich war daher überzeugt, dass er tot sei, und entschloss mich, die Tür zu öffnen. Er lag lang ausgestreckt, in tiefer Betäubung; doch lebte er noch. Es war keine Zeit zu verlieren, und doch konnte ich mich nicht dazu bewegen, das Tier im Stich zu lassen, das mir zwei Mal das Leben gerettet hatte. Ein Versuch zu seiner Erhaltung musste gemacht werden; wir schleppten es daher mit, so gut wir konnten, freilich unter unsagbaren Schwierigkeiten und todmüde. Augustus musste wiederholt mit dem schweren Hund im Arm über Hindernisse hinwegklettern, was ich in meiner Schwäche niemals fertig gebracht hätte. Doch endlich kamen wir beim Loch an; Augustus kroch hindurch, Tiger wurde nachgeschoben. Alles war in Ordnung, und wir dankten Gott für unsere Errettung aus der unmittelbarsten Gefahr. Vorläufig sollte ich nahe der Öffnung bleiben, durch die mein Freund mir Lebensmittel zustecken sollte und an der ich in der Lage war, eine verhältnismäßig

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