Gesang der Daemmerung
haben als wir Geistwesen.«
»So ist es«, seufzte sie. »Seitdem das Reich der Lichtelben zerfiel, ist der Tod uns allen gewiss. Niemals wieder wird die Quelle sprudeln, die einst die Elbenkönigin hütete. Denn als die Nachtschatten das Reich der Lichtelben eroberten, starb Eolin lieber, als ihren Zauber in den Dienst der Feinde zu stellen.«
Darion starrte sie an und begriff, dass er soeben die Lösung gefunden hatte. Ganz harmlos, sozusagen nebenbei, hatte die Nymphe das Geheimnis der Elbenkönigin ausgeplaudert! Es war eine Quelle, die eine ganz besondere Kraft besaß …
»Die Quelle des ewigen Lebens?«, fragte er aufs Geratewohl.
»Ja«, bestätigte sie mit traurigem Lächeln. »Niemand außer Eolin konnte diese Quelle zum Fließen bringen, denn es bedurfte dreier Dinge, um dieses Wunder geschehen zu lassen. Das erste war das Zeichen der Sonne, das zweite der silberne Fluss, das dritte aber das Spiel der Töne, das den Fels zum Bersten bringt.«
Darions Hirn arbeitete so eifrig, dass der Schmied wieder auf den Amboss schlug und er Kopfschmerzen bekam. Verflucht, er war noch längst nicht wieder im Normalzustand, aber eine solche Gelegenheit würde niemals wiederkehren! Jetzt verstand er auch, woher Aladion sein Wissen bezog: Die schöne Nymphe hatte ihm solche Geheimnisse verraten.
»Das Zeichen der Sonne beweist die Zugehörigkeit zum Haus der Königin, nicht wahr?«, forschte Darion nach.
Überrascht sah die Nymphe ihn an, dann schien sie amüsiert, schließlich blickte sie besorgt drein.
»Ich sollte diese Dinge keinem Fremden erzählen. Aber du bist ein Freund von Aladion und wirst ihm mein heilendes Wasser bringen …«
Sie beugte sich ein wenig vor und war nun ganz und gar damit beschäftigt, ihren geliebten Wasserfall zu betrachten. Sie murmelte sogar leise Worte, als wollte sie sich mit ihrem sprudelnden Element unterhalten. Darion durfte mit seinen Fragen nicht nachlassen.
»Was ist der silberne Fluss?«
»Das weißt du nicht? Hat Aladion es dir nicht gesagt? Nun, dann werde auch ich schweigen.«
Was tat sie nur? Um den Wasserfall hatten sich jetzt feine Nebel gebildet, zarte Schleier aus winzigen Wassertröpfchen, die allesamt das Sonnenlicht reflektierten. Er musste die Augen schließen, weil ihm die bunten glitzernden Lichter Löcher in die Iris brannten.
»Ist es ihr gleißendes Haar? Oder nein. Es ist der Fluss, der sich aus der Quelle des ewigen Lebens speist …«
Er hörte sie leise auflachen und begriff, dass er ganz und gar danebenlag. Immerhin hatte er etwas zu ihrer Erheiterung beigetragen, denn als er jetzt seine Augen öffnete, schien ihre Miene fast fröhlich. Unten tanzte ein leuchtender Regenbogen in den Wassernebeln, für eine Quellnymphe gewiss ein schöner Anblick, für die Augen eines Nachtschatten eher eine Tortur.
»Aber nein, du Dummkopf! Es ist die Stimme der Elbenkönigin. Nur sie besaß diese Stimme, deshalb konnte auch keine andere als Eolin die Quelle zum Fließen bringen.«
»Aber … sie sang gewiss auch eine ganz bestimmte Weise, oder nicht? Eine Melodie, die nur sie kannte.«
»Gewiss. Das Spiel der Töne, das den Fels zum Bersten bringt. Aus dem Fels kommt das Wasser, das ihr Gesang sprudeln und schäumen lässt, sodass es sich schließlich seinen Weg nach draußen bahnt. Schau hinunter!«
Der Wasserfall, der aus der Felswand strömte, rauschte jetzt sehr viel stärker als vorher, dichte Nebel umgaben ihn, von den breiten Farbbändern des Regenbogens überspannt, und selbst hier oben auf dem Felsen waren nun die feuchten Wassertröpfchen zu spüren.
»Jede von uns hat ihre Methode«, hörte er die Quellnymphe flüstern. »Auch ich weiß meine Quelle zu lenken, und wenn ich einst vergehe, wird nur diejenige dieses Wasser zum Fließen bringen, der ich mein Geheimnis anvertraue …«
Sie streckte ihre Arme aus und formte mit den Händen eine Schale, in der sich nun die schimmernden Tropfen sammelten und zu klarem Wasser wurden. Als sie genügend davon beisammen hatte, goss sie es in das Horn einer Gemse, verschloss es mit Bienenwachs und reichte es Darion.
»Bring es ihm, und sag, dass es von Selena kommt, dass sie selbst es für ihn bereitet hat und dass ihre Gedanken und Wünsche bei ihm sind.«
»Wie soll ich dir danken, Selena?«
Ihr Lächeln bekam etwas Verlockendes, das anziehende Lächeln einer schönen Nymphe, und er fürchtete schon, sie würde in aller Harmlosigkeit seine Liebesdienste als Dank begehren. Gewiss – früher hatte er sich
Weitere Kostenlose Bücher