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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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ziemlich düster. Auch die beiden Gaslaternen, die den Ausgang zum Garten beleuchteten, konnten an diesem Zustand wenig ändern. Kein menschliches Wesen war zu sehen. Marian bedauerte jetzt, keine Lampe mitgenommen zu haben, denn sie konnte außer den Schränken und Bücherregalen nur wenig erkennen. Hatte Reverend Jasper die Villa vielleicht schon verlassen? Das wäre sehr schade gewesen, sie hätte den liebenswerten älteren Herrn gern begrüßt. Wie seltsam, dass sie ihn nicht im Publikum entdeckt hatte, aber vermutlich hatte er bescheiden an der Seite gesessen und sich vielleicht sogar hinter anderen Zuhörern versteckt.
    »Marian?«
    Sie fuhr herum, denn der Ruf war hinter ihr erklungen. Reverend Jasper stand mit Hut und Mantel angetan bei der Tür zum Flur, die sie eben gerade durchschritten hatte. Ganz offensichtlich war er ihr entgegengelaufen. Wie seltsam, dass sie sich in dem engen Flur verpasst hatten!
    »Reverend Jasper! Ich freue mich unendlich, Sie wiederzusehen! Hoffentlich war es nicht allzu unbequem für Sie, bei diesem kalten Wetter hinaus nach Soho zu fahren …«
    Er bewegte sich langsam auf sie zu, ohne eine Antwort zu geben, und Marian fand es irritierend, dass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte. Weshalb schwieg er? Wieso hörte man seine Schritte auf dem Steinboden nicht?
    »Reverend Jasper?«, fragte sie und wich ein wenig zurück. »Sie … Sie sind doch Reverend Jasper, oder etwa nicht?«
    Ihr Herz klopfte jetzt so rasch, dass ihr das Blut in Wangen und Schläfen stieg. Dieser Mann war gar nicht der Erwartete – Mrs. Waterfield hatte sie belogen, oder man hatte die Hausdame getäuscht! Die Gestalt, die sich in Hut und Mantel durch den dämmrigen Raum auf sie zubewegte, war …
    »Darion!«
    Woher sie es plötzlich wusste, hätte sie nicht sagen können, doch als sie seinen Namen rief, blieb er erschrocken stehen.
    »Ja, ich bin es«, sagte er leise. »Folge mir, Marian! Rasch, sonst sind wir verloren …«
    In dem pelzverbrämten Mantel sah er aus wie der Spross einer Londoner Adelsfamilie, ein junger Gentleman, der alle Mädchenherzen höher schlagen ließ, und Marian musste sich gegen die wieder aufkeimende Leidenschaft wehren. Oh nein! Er hatte sie belogen und bestohlen, das würde sie keinesfalls vergessen!
    »Was soll das werden – eine Entführung?«, meinte sie spöttisch, während ihr Herz sich vor Sehnsucht zusammenzog.
    »Ja, eine Entführung«, bestätigte er lächelnd. »Bei Nacht und Nebel bringe ich dich von hier fort, meine süße Fee, und dieses Mal wird die Flucht gelingen. Folge mir nur, und hab keine Angst!«
    Er stand jetzt dicht vor ihr und wollte ihr einen Umhang umlegen, doch sie entschlüpfte ihm und rettete sich zum Ausgang hin, wo die beiden Gaslaternen brannten.
    »Ich denke nicht daran, Geist der Nacht! Glaubst du, du kannst dein Spiel mit mir treiben? Einmal bist du Jonathan Mills, dann wieder Darion, ein anderes Mal bleibst du ganz und gar verschwunden. Und jetzt tauchst du urplötzlich wieder auf und verlangst, ich solle dir folgen?!«
    Er musste die Augen schmal zusammenkneifen, weil das Licht der Lampen ihm Schmerzen bereitete. Aus dem Saal war frenetischer Applaus zu hören, aber auch laute Rufe. »Wo ist sie?«, »Weshalb versteckt er sie?«, »Wir wollen sie sehen!« Marian begriff plötzlich, dass das Publikum nach ihr rief, denn sie war die Einzige von Serenos Schülern, die sich jetzt nicht drüben im Saal vor den Leuten verbeugte. War man tatsächlich so begeistert von ihrem Gesang? Sie hatte doch nur ein Duett gesungen … Durch den Applaus hindurch vernahm man jetzt Schritte im Flur, die sich rasch näherten – das war gewiss Mrs. Waterfield, die den Auftrag hatte …
    »Wir haben keine Zeit, um zu streiten«, sagte Darion hastig und warf ihr mit einer energischen Bewegung den Mantel um die Schultern. »Vergib mir, Geliebte!«
    Es ging so rasch, dass sie nicht einmal einen Versuch unternahm, sich zu wehren. In den weiten Umhang gewickelt wurde sie wie ein kleines Mädchen durch den Garten getragen, ihr Kopf lag an seiner Brust, wo der weiche Pelzbesatz des Mantels sie in der Nase kitzelte. Es war ringsum dunkel, und sie spürte die raschen sicheren Bewegungen seines angespannten Körpers. Sein warmer Atem berührte ihren Nacken, sie meinte sogar, sein Herz aufgeregt klopfen zu hören.
    »Wie kannst du es wagen …«, schimpfte sie. »Lass mich sofort los!«
    »Später …«
    Sie hörte, wie das Gittertor sich quietschend bewegte, und fragte

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