Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
allerdings im Salon zu suchen hatte – jenem Raum, den Mrs. Potter als ihren persönlichen Wohnbereich beanspruchte –, diese Frage gab zu allerlei Vermutungen Anlass, die Marian mehr als abgeschmackt fand.
    »Es steht ein Sofa im Raum«, behauptete Lisa.
    »Und es gibt eine Verbindungstür zu Mrs. Potters Schlafzimmer.«
    »Das stimmt doch gar nicht! Wer von euch war überhaupt schon einmal im Salon?«
    »Na, du doch, Marian! Komm, erzähl uns mal, wie es dort ausschaut!«
    »Ein Klavier steht dort. Und ansonsten ist der Raum mit alten Möbeln vollgestopft – geradezu scheußlich. Freiwillig würde ich es dort keine Minute aushalten.«
    »Als dein Professor im Haus war, hast du es aber eine ganze Weile ausgehalten. Wirst du jetzt eine berühmte Primadonna, oder hast du es dir anders überlegt?«
    Mrs. Potter hatte Marian am Mittwoch zu sich rufen lassen, um ihr mitzuteilen, dass sie für den folgenden Nachmittag die Erlaubnis hätte, Professor Serenos Institut zu besuchen.
    »Leider kann ich dich nicht selbst begleiten, und auch Miss Woolcraft ist nicht abkömmlich. Deshalb habe ich Mr. Mills gebeten, mit dir zu fahren.«
    »Mr. Mills? Aber er ist … ich meine, er hat …«
    »Unterbrich mich nicht, Marian, du weißt, dass ich das nicht mag! Ihr werdet einen Wagen mieten müssen, das ist bereits mit Mr. Strykers abgesprochen. Ich werde Mr. Mills das nötige Geld geben …«
    Wie peinlich!, dachte Marian. Mr. Mills wird sich bestimmt wieder schrecklich ungeschickt benehmen, und außerdem besitzt er ganz sicher keinen vernünftigen Ausgehanzug. Am Ende wird er diese schreckliche Jacke mit den viel zu kurzen Ärmeln und die ausgeleierten Arbeitshosen tragen. Hieß es nicht, der Professor unterrichte junge Leute aus adeligen und wohlhabenden Kreisen? Großer Gott – ich muss Mr. Mills klarmachen, dass er draußen vor dem Gebäude auf mich warten soll!
    Ihre Sorge schien nur allzu berechtigt, denn Jonathan Mills kletterte am Donnerstagvormittag auf dem Dach herum, und man sah ihn weiß gepudert mit Taubendreck von der Leiter steigen. Er nieste und hustete, außerdem war sein linker Zeigefinger geschwollen, weil ihm der Hammer ausgerutscht war.
    »Dein Galan hat sich eine weiße Perücke zugelegt«, witzelte die unermüdliche Lisa. »Er wird gewiss sehr würdig aussehen, wenn ihr beiden nach dem Mittagessen in den Wagen steigt. Es könnte nur sein, dass er ein strenges Gerüchlein an sich hat …«
    »Was redest du nur?«, gab Marian ärgerlich zurück. »Er wird sich vorher natürlich waschen und umkleiden!«
    »Ganz sicher, Marian. Er wird in Rosenwasser baden, das Haar mit Brillantine bearbeiten und dann in den Smoking steigen.«

Kapitel 7
    Marian hoffte inständig, dass ihr Begleiter sich wenigstens das Haar kämmte. Die Kleidung würde er vermutlich einfach ausklopfen, denn zum Waschen blieb gar keine Zeit mehr. Umso verblüffter war sie, als Miss Woolcraft sie nach dem Mittagessen abholte und über den vorderen Eingang in den Hof geleitete. Dort wartete die Mietkutsche – ein sogenannter Hansom, ein Einspänner, bei dem der Kutscher hinten auf dem Wagen stand. Jonathan Mills hielt seiner Schutzbefohlenen mit einer linkischen Geste, die wohl galant wirken sollte, den Kutschenschlag auf und grinste sie dabei triumphierend an. Wer immer ihm diese engen grasgrünen Hosen, die zitronengelbe Weste und die mausgraue Jacke besorgt hatte: Die betreffende Person verfügte zumindest über ein gutes Augenmaß, denn die Kleidungsstücke waren weder zu groß noch zu klein. Ansonsten war diese Zusammenstellung, die von einem zimtfarbenen Hut gekrönt wurde, einfach nur scheußlich.
    »Es ist mir eine große Ehre und ein besonderes Vergnügen, diese junge Dame begleiten zu dürfen«, sagte Mills zu Mrs. Woolcraft, die ihn mit ebenso entsetztem Blick musterte wie Marian.
    »Halten Sie sich vor allem im Hintergrund, junger Mann!«, versetzte die Lehrerin. »Am besten steigen Sie überhaupt zum Kutscher auf den Bock und lassen Marian allein im Wagen Platz nehmen.«
    Aber damit war der Kutscher nicht einverstanden. Es wäre schon eng genug dort oben, und er brauchte zum Kutschieren genügend Ellenbogenfreiheit. Tatsächlich war der Braune ganz besonders unruhig, er schüttelte immer wieder die Mähne und machte sogar Anstalten, auf eigene Faust davonzutraben.
    »Das gibt sich«, versicherte der Kutscher. »Irgendetwas hat ihn erschreckt. Ist normalerweise ein lammfrommes Tier.«
    Also stieg der bunt gekleidete Mr. Mills zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher