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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung
Autoren: Megan MacFadden
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nicht endlich mit deinem Vetter George in Ruhe? Wer hat denn gesagt, dass ich ihn heiraten will?«
    Kate gab darauf keine Antwort und stakste beleidigt davon. Der Wind presste ihr den Rock gegen die dünnen Beine, und das wollene Cape flatterte wie ein paar grauer Flügel um ihre Schultern. Trotz ihres Ärgers musste Marian schmunzeln, denn die Freundin glich einer übergroßen Krähe, die sich gerade in die Luft erheben wollte.
    »Kate! Ich habe es nicht so gemeint. Lass uns nicht streiten!«
    Der Himmel öffnete jetzt seine Schleusen, und heftig prasselte Regen herab. Überall im Garten sah man die Mädchen zum Haus hinübereilen, einige stolperten in ihrer Hast über einen herumliegenden Blecheimer, zwei der jüngsten traten versehentlich in die frisch angelegten Kohlbeete. Kate umschiffte geschickt alle Hindernisse und verschwand im Hauseingang, ohne sich noch einmal nach ihrer Freundin umzudrehen. Wie es schien, war sie nun endgültig böse.
    Marian hatte zu laufen begonnen, um Kate noch einzuholen, jetzt aber sah sie ein, dass es zwecklos war, und ging langsamer. Wie selbstsüchtig Kate doch war! Das hätte ihr längst auffallen müssen. Ob Marian glücklich war oder nicht, das interessierte Kate wenig – die Hauptsache war, sie konnte täglich mit ihr Tee trinken.
    »Du wirst ja ganz nass, Marian!«
    Sie fuhr zusammen, denn die Stimme war ihr vollkommen unbekannt. Unvermittelt war der neue Hausmeister neben ihr aufgetaucht und hielt einen breiten schwarzen Schirm über sie.
    »Habe ich dich erschreckt?«, fragte er, und auf sein Gesicht malte sich ein breites schuldbewusstes Lächeln. »Das tut mir leid. Ich war drüben im Geräteschuppen. Komm unter meinen Schirm, es wäre doch schade, wenn du dir eine Erkältung holen würdest …«
    »Sehr … sehr freundlich, Mr. Mills. Danke …«
    Sie fand es eigentlich albern, von diesem seltsamen Kauz wie von einem Gentleman »beschirmt« zu werden, noch dazu vor den Augen ihrer Mitschülerinnen. Einige der Mädchen standen bei der Eingangstür, um ihre nassen Umhänge auszuschütteln. Auch Mrs. Crincle wartete dort, bis all ihre Schäfchen im Trockenen waren. Aber es wäre schrecklich unhöflich gewesen, das Angebot abzulehnen, und irgendwie fand Marian diesen Burschen rührend, so ungeschickt, wie er war.
    Jonathan Mills war noch jung, vermutlich kaum zwanzig Jahre alt, lang aufgeschossen und sehr dünn. Die grobe Arbeitsjacke war ihm ein ganzes Stück zu weit, die Ärmel dafür jedoch zu kurz, sodass seine Unterarme herausragten. Jetzt, da er neben ihr herlief und den Regenschirm sorgsam über sie hielt, fiel ihr auf, dass seine Hände überraschend schön waren und gar nicht zu seiner schlaksigen Gestalt passten. Es waren die kräftigen Hände eines erwachsenen Mannes, dabei jedoch ebenmäßig geformt, mit ovalen makellosen Fingernägeln. Auf dem Handrücken sprossen feine schwarze Härchen. Ein Arbeiter war er gewiss nicht, sonst hätte er Schwielen und Risse an den Händen gehabt.
    »Haben Sie früher auch als Hausmeister gearbeitet?«, fragte Marian neugierig. Er gab keine Antwort, vielleicht hatte er ihre Frage ja nicht gehört. Zwischen den Kräuterbeeten war der Weg so schmal, dass Jonathan zwei Schritte hinter ihr gehen musste.
    »Ich glaube fast, Sie sind kein Handwerker, sondern ein Student.«
    Neugierig drehte sie den Kopf, um die Wirkung ihrer Worte in seinem Gesicht abzulesen. Sie musste geradewegs ins Schwarze getroffen haben, denn er schaute erschrocken drein, fast wie ein ertappter Schwindler. Eigentlich hatte er angenehme Gesichtszüge, nur die Nase war zu groß, und das Kinn wich zurück, was ihm ein schüchternes Aussehen verlieh. Dafür hatte er sehr volles dunkles Haar, das in Büscheln nach allen Richtungen stand. Ob er sich niemals kämmte?
    »Ich habe recht, wie?«, riet Marian lächelnd. »Keine Sorge, ich verrate es niemandem. Halten Sie sich an Mr. Crincle, den Gärtner. Er ist ein erfahrener Handwerker und wird Ihnen schon helfen. Die Crincles sind zwar ein wenig sonderbar, aber es sind gutherzige Menschen.«
    Sie sprach mit gedämpfter Stimme, da sie schon dicht bei der Eingangstür waren. Allerdings hätte Mrs. Crincle, die dort auf sie wartete, ihre Worte ruhig hören dürfen. Marian hatte ja nicht schlecht über sie und ihren Mann gesprochen.
    »Vielen Dank für den Rat, Marian! Du bist wirklich ein nettes Mädchen. Wenn auch du einmal Hilfe brauchen solltest – ich werde zur Stelle sein!«
    Er sprach ebenfalls mit leiser Stimme, es
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