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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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vertreiben. Er konnte in aller Ruhe die Felshöhle untersuchen und fand, was er schon vermutet hatte: Er befand sich in einem niedrigen Raum, der sich im hinteren Bereich verjüngte und als blinder Gang im Gestein endete. Von hier aus führte kein Weg in die Freiheit.
    Und doch musste es eine Möglichkeit geben, aus diesem Gefängnis zu entfliehen, selbst auf die Gefahr hin, die Flucht nicht zu überleben. Konnte er die Windbräute für seine Zwecke nutzen? Würden sie in der Lage sein, die Gitterstäbe aus dem Fels zu sprengen? Ihn über die brüllenden Wogen und den tödlichen Strudel hinweg an Land zu tragen?
    Sein Verstand war inzwischen klar genug, um einzusehen, dass dieser Plan puren Wahnsinn darstellte. Selbst wenn es den gierigen Windjungfern gelänge, ihn aus dieser Höhle zu befreien, so würde er doch mit ziemlicher Sicherheit als zerzaustes und zerkratztes Opfer unten bei den Wassergeistern enden. Er zermarterte sich das Hirn, schmiedete ausgeklügelte Pläne und verwarf sie wieder, ging unruhig in seinem Gefängnis auf und ab, stand an den Gitterstäben und starrte in den bewölkten Himmel. Wie seltsam – die Strahlen der Sonne schreckten ihn nicht mehr. Er hatte ihre Macht erfahren, den Schmerz bis zur Neige gekostet – jetzt war er imstande, ihnen mit Gleichmut zu begegnen.
    Wenn er über seinen Fluchtplänen grübelte, war er ruhig und voller Zuversicht. Schlimm war es nur, wenn seine Gedanken abschweiften und die Hoffnungslosigkeit ihn erfasste. Er hatte keine Ahnung, was sich inzwischen in London ereignete, ja, er wusste nicht einmal, ob Marian noch am Leben war. Gorian hatte kein Wort mit ihm gesprochen, auch nicht gefragt, wie er seinen Auftrag erledigt hatte. Das konnte nur bedeuten, dass inzwischen ein anderer Krieger seine Aufgabe übernommen hatte, einer der ahnungslosen jungen Burschen, die Gorian blind ergeben waren.
    Es war nicht lange her, da war auch er einer dieser hirnlosen Gefolgsleute gewesen. Jetzt war es anders. Immer häufiger kamen ihm die Worte des Abtrünnigen in den Sinn, und obgleich es ihn schmerzte, musste er doch zugeben, dass viel Wahres darin gelegen hatte. Es war hart, diese Zweifel zu nähren, vor allem um der Männer willen, die seine Ausbilder gewesen waren und die er stets bewundert und verehrt hatte. Und doch wurde ihm jetzt immer deutlicher, dass auch diese erfahrenen Krieger nur Handlanger eines ungerechten Herrschers darstellten.
    Weshalb hatte Darion dem Abtrünnigen nicht besser zugehört, ihm sein Wissen über das Geheimnis der Lichtelben entlockt? Er musste ein ungewöhnlich fähiger Bursche sein, der Gorians Kriegern immer wieder entwischt war. Ganz anders als er selbst, der nun hier in seinem Gefängnis hockte, nackt und hilflos wie ein Menschenkind. Ein einziger unbedachter Augenblick hatte sein Schicksal besiegelt. Mehr noch: Durch seine Dummheit hatte er Marian, die kleine Lichtelbin, an ihre Feinde ausgeliefert. Marian, die so frech versucht hatte, ihn mit ihrer Laterne zu bannen. Die so energisch eine Antwort gefordert hatte, wo er doch hatte schweigen müssen. Die zitternd vor Angst und dann so süß und hingebungsvoll in seinen Armen gelegen hatte … Marian … Marian … Marian …
    In solchen Augenblicken beneidete er die Seevögel, die schwerelos und frei über dem Meer dahinglitten. Es war noch nicht lange her, da war er mit ihnen um die Wette geflogen, hatte Kapriolen mit dem Sturm getrieben und die geifernden Meerfrauen verlacht, die unten in den Wellen ihre weißen Gischtarme nach ihm reckten. Jetzt war alles anders …
    Er schlief, als die beiden Krieger in seinem Gefängnis erschienen. Schwere Ketten wurden an seinen Handgelenken befestigt, im Flug ging es über Meer und Felsengebirge hinunter in die Tiefe des Palastes. Hoffnung und Verzweiflung kämpften in Darions Innerem, doch die Hoffnung überwog. Was auch immer Gorian jetzt mit ihm vorhatte, er würde jede, auch die kleinste Chance nutzen, um seine Freiheit wiederzugewinnen!
    In einem der Räume, die er schon aus früheren Zeiten kannte und die sich doch alle glichen, kettete man ihn an die Felswand.
    »Was soll das werden?«
    »Du hast nichts zu fragen, Verräter!«
    »Wozu schleppt ihr mich hierher?«
    Sie gingen, ohne ihm eine Antwort zu geben, vermutlich wussten sie keine. Ihm wurde plötzlich klar, dass in diesem Palast niemand je gewagt hatte, Fragen zu stellen. Es gab nur einen, der fragte und dem keine Antwort verweigert werden durfte.
    Gorian ließ ihn warten. Geräuschlos

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