Gesang der Daemmerung
hatte.
Doch Gorian hatte ein anderes Los für ihn bestimmt. Er wählte die Qual der Folter, setzte ihn dem unbarmherzigen Licht der Sonne aus, als wollte er ihm höhnisch sagen: Wer eine Lichtelbin küsst, der muss die Helligkeit lieben. Nimm also davon, so viel du magst, Darion, Verräter! Sauge das Licht in dich hinein, fülle dich damit an, und denke immer daran, dass es das Element ist, aus dem eine Lichtelbin gemacht ist. So wirst du deinem Liebchen stets nahe sein – ihrer silbrigen Haut, ihrem schimmernden Haar und ihren tiefen hellen Augen, in denen du verglühst, wenn du hineinblickst …
Wahrscheinlich war er längst verrückt geworden, denn er glaubte tatsächlich immer wieder, Gorians perfide Stimme zu hören, während die Sonne seinen Körper malträtierte. Sein Kopf dröhnte unter den Angriffen der gleißenden Strahlen, seine Haut brannte, jeder einzelne Muskel schien zum Zerreißen gespannt und wund. Lange würde er nicht mehr standhalten können, dann würde er trotz verzweifelter Gegenwehr das Bewusstsein verlieren und zur Seite kippen. Seine ungeschützten Augen waren dann die letzte, die kostbarste Beute des gefräßigen Taggestirns.
Er hatte nicht mitbekommen, dass man ihn längst aus der Felsmulde erlöst und in ein enges Felsgemach gesperrt hatte. Immer noch sah er das funkelnd helle Licht vor Augen, tanzende Pfeile und Kringel narrten ihn, und er spürte die Hitze in seinem Körper. Erst als das Donnern und Zischen der Brandung das dröhnende Geräusch in seinem Schädel übertönte, wurde ihm langsam klar, wo er sich befand. Gorian hatte ihn zwar aus der Lichtfolter erlöst, doch sein neues Gefängnis war nicht viel besser als die gefürchtete Kammer tief unten im Fels.
Er steckte in einer Höhle, die das Meer vor langer Zeit in das Gestein der steilen Küstenwand gewaschen hatte, weit oberhalb des jetzigen Meeresspiegels. Ein Ort, der nur für Seevögel und fliegende Geister erreichbar war. Damit der Gefangene nicht davonfliegen konnte, hatte man die Höhle mit einem Gitter versehen, an dem in stürmischen Nächten die Windbräute rüttelten.
»He – schöner Gefangener! Komm heraus zu uns, denn wir wollen mit dir tanzen!«
»Wir tanzen über den Wellen und baden die Füße in weißer Gischt. Komm, und tanze mit uns, du Schöner! Lass uns nicht warten, denn wir können boshaft werden, wenn wir unzufrieden sind …«
»Ach, schau doch, Schwester! Er ist ganz nackt, der Hübsche! Wie ein Meermann, nur fehlt ihm der Fischkörper …«
»Lass doch einmal sehen, ob wir nicht durch das Gitter greifen und ihn zu uns herausziehen können …«
Darion genas in der feuchten Kühle rascher, als er selbst es für möglich gehalten hatte. Sein Kopf hörte auf zu dröhnen und taugte wieder zum Denken, auch die Hoffnung, sich aus diesem Gefängnis durch irgendeine List befreien zu können, wuchs langsam neu in ihm heran.
»Nehmt eure Finger weg, alte Vetteln!«, rief er grinsend und atmete tief die aufsteigende Gischt ein. »Ich werde nur der Jüngsten und Schönsten unter euch die Hand reichen.«
»Und welche soll das sein?«, keifte es erbost.
»Macht es unter euch aus!«
Es gab viel Gekreisch und Gezeter – ein Mensch hätte den Lärm wohl für das Schreien der Meeresvögel gehalten, die unablässig über der Brandung kreisten. Darion war inzwischen schon in der Lage, auf seinen Beinen zu stehen und die wenigen Schritte bis zum Gitter zurückzulegen. Wenn er die Stäbe umfasste und sein Gesicht dicht an das kalte Eisen presste, konnte er hinunter auf die tobenden Wellen schauen. Dort ergoss sich auch der Kairon ins Meer und bildete mit den heranstürmenden Wogen einen kreisenden Trichter, eine tödliche Falle für allerlei Meeresgetier, das in den Sog geriet.
Die Gitterstäbe waren nicht allzu eng gesetzt, eine Möwe hätte sich leicht hindurchschieben können, doch er hatte längst begriffen, dass man ihm die Fähigkeit genommen hatte, zu einem Nebelstreif zu werden oder gar zu fliegen. Ein Bannfluch lag auf den Gefangenen, machte sie hilflos wie Menschen und ebenso verletzlich. Falls eine der Windbräute auf den Gedanken kam, zu ihm in das Gefängnis zu schlüpfen und ihr Spiel mit ihm zu treiben, war er ihren groben Scherzen rettungslos ausgeliefert. Zum Glück konnten die wilden Weiber sich jedoch nicht darüber einigen, wer unter ihnen die Schönste war. Sie zankten endlos miteinander, und wenn eine sich den Gitterstäben näherte, waren schon drei andere zur Stelle, um sie zu
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