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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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viel unnützes Zeug geschrieben und gute Tinte verschwendet wurde.«
    Zum Glück hatte er einen alten Brief erwischt. In ihrem letzten Schreiben kündigte Kate nämlich ihren Besuch an – in Begleitung ihrer Mutter und ihres Cousins George. Die arme Kate wollte die Hoffnung immer noch nicht aufgeben, eines Tages in Marians Nachbarschaft zu wohnen und sich täglich mit ihr auf eine Tasse Tee zu treffen.
    »Brav, mein Liebe!«, brummte Strykers, nachdem er einige Sätze gelesen und dann seinen Zwicker wieder abgenommen hatte. »Zur Belohnung werden wir heute einen kleinen Ausflug unternehmen.«
    »Schon wieder? Sie wissen doch, dass Professor Sereno es gar nicht mag, wenn ich seinen Unterricht verpasse.«
    Strykers verzog verächtlich die Lippen und drückte das Doppelkinn heraus, das seine untere Gesichtshälfte jetzt wie ein breiter rosiger Wulst umrandete.
    »Der Herr Professor hat sich meinem Wunsch fügen müssen und uns Dispens bis achtzehn Uhr erteilt. Eine so eifrige Schülerin, wie du es bist, braucht hin und wieder eine kleine Erholung.«
    Marian seufzte. Die Erholung bestand meist in einer langweiligen Kutschfahrt durch die Stadt, wobei Strykers ihr entweder den Tower und St. Paul oder Westminster und Hyde Park, manchmal auch Buckingham Palace zeigte. Ausgestiegen waren sie bisher nur ein einziges Mal, da hatte er es tatsächlich über sich gebracht, sein Mündel in eine Gastwirtschaft zu führen, wo er ihr ein Stück Apfelkuchen und eine Tasse Tee spendierte. Er selbst hatte nur zwei Gläser irischen Whiskey zu sich genommen, den er mit Sodawasser verlängerte, und während er trank, war sein Blick seltsam glasig geworden. Nach dem zweiten Whiskey nahmen auch seine Reden merkwürdige Formen an. Ob sie denn wüsste, dass ein Weib dazu gemacht wäre, sich hinzugeben. Dass sie niemals vergessen dürfte, was er für sie getan hätte und immer noch bereit wäre zu tun. Dass eine junge Künstlerin besser unverheiratet bliebe, da sie als Mutter und Ehefrau nicht taugte. Doch das bedeutete beileibe nicht, dass sie auf die Freuden der Liebe verzichten müsste, ganz und gar nicht. In dieser Hinsicht könnte sie vollkommen auf ihn zählen …
    Er schien ziemlich enttäuscht, als Marian ihm darauf keine Antwort gab und nach einer Weile nur bemerkte, sie wäre müde und würde gern zurückfahren. Beim Abschied hatte er ärgerlich geschnauft, sie wäre in höchstem Grade undankbar und sollte sich vorsehen. Er müsste ernsthaft erwägen, Maßnahmen zu treffen, da Hochmut und Eigensinn einer jungen Frau recht übel zu Gesicht stünden. Möglicherweise wäre diese Ausbildung zur Sängerin doch nicht das Richtige für sie … Marian war nichts anderes übriggeblieben, als sich bei ihm zu entschuldigen, schließlich besaß er noch fast drei Jahre lang die Macht, über ihr Schicksal zu bestimmen. Jetzt begriff sie auch, weshalb Professor Sereno sich Strykers’ Wünschen zwar unwillig, aber letztlich doch gefügt hatte: Marians Vormund musste ihm gedroht haben, anderenfalls die Ausbildung seines Mündels sofort zu beenden.
    »Wohin fahren wir dieses Mal?«, wollte Marian ohne viel Begeisterung wissen.
    »Lass dich überraschen!«, antwortete Strykers geheimnisvoll. »Es wird dir ganz sicher gefallen.«
    Resigniert zog sie ihre gefütterte halblange Jacke an, setzte den Hut auf und stieg in die Pelzstiefelchen, die ihr Vormund ihr – oh Wunder! – für diesen Winter ausnahmsweise genehmigt hatte. Es wäre auch zu peinlich gewesen, angesichts der wohlhabenden und gut gekleideten Schüler des Professors, in durchlöcherten Winterschuhen herumzulaufen!
    Draußen empfing sie trübes, feuchtes Novemberwetter, jene Mischung aus Nieselregen und kühlem Wind, die mühelos jeden Mantelstoff durchdringt und den Spaziergänger frösteln lässt, als herrschten bereits eisige Wintertemperaturen. Ein zitterndes Hausmädchen, das sich mit einem wollenen Tuch gegen die feuchte Kälte schützte, öffnete ihnen das Gittertor, und Marian war heilfroh, dass die Kutsche gleich draußen vor dem Tor wartete. Es handelte sich nicht um einen Hansom, sondern um ein größeres Gefährt, das zu mieten Strykers gewiss einiges gekostet hatte. Seine eigene Schuld – wozu musste er bei diesem scheußlichen Wetter, wo alle Mietkutschen besetzt waren, unbedingt einen Ausflug mit ihr machen?
    Es war genügend Platz auf der gepolsterten Kutschbank, aber Strykers saß nach lieber Gewohnheit dicht neben ihr, drängte sie mit seiner Körpermasse an die Seite,

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