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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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Sie sah eine Reihe leicht verfallener, aber wenigstens nicht verkommener Gebäude, grün gestrichene Haustüren, an den Fenstern hingen Gardinen. Der Weg war selbstverständlich nicht gepflastert, er bestand aus gelblichem Morast, durch den ein stinkendes Rinnsal floss. Hie und da ragte ein Stein hervor, sodass es möglich war, trockenen Fußes auf die andere Seite zu gelangen.
    »Weshalb soll ich hier aussteigen?«
    »Ich möchte, dass du eine liebe Verwandte von mir kennen lernst, Marian. Eine einsame ältere Dame, die sich schon auf deinen Besuch freut. Nun komm schon, Mädchen! Du wirst meine Tante doch nicht enttäuschen wollen!«
    Seine Tante – du liebe Güte, weshalb hatte er da so geheimnisvoll getan? Und überhaupt – was für eine Tante? Er hatte noch nie zuvor von ihr gesprochen. Sie musste ja uralt sein, schließlich war er selbst doch auch schon weit über vierzig.
    Es half nichts, sie war genötigt, beim Aussteigen seine Hand zu ergreifen, da die Steine im Morast ziemlich glitschig aussahen. Er packte sie so fest, als hätte er Furcht, sie könnte ihm davonlaufen, und zog sie eilig zu einer der grün lackierten Haustüren. Es schepperte entsetzlich, als er an der Glocke zog, gleich darauf wurde in dem kleinen Fensterchen neben der Haustür ein Vorhang beiseitegeschoben, und das faltige Gesicht einer Frau erschien, umrahmt von einer schwarzen Spitzenhaube. Von Familienähnlichkeit gab es keine Spur – vielleicht hatte sie es ja mit einer angeheirateten Tante zu tun.
    Es dauerte ein Weilchen, bis sie die Tür öffnete, da sie zuerst aufschließen und dann noch eine Türkette abhängen musste. Wie viele ältere Menschen hatte wohl auch Tantchen Sorge, jemand könnte sie überfallen und ihr Erspartes stehlen.
    Strykers begrüßte seine liebe Verwandte nicht eben zärtlich. Statt sie an sein Herz zu drücken, fuhr er sie an, wieso sie sich so viel Zeit ließe, er hätte keine Lust, auf der Gasse herumzustehen.
    »Nun, nun – gut Ding will Weile haben …«, erwiderte sie und grinste Marian auf merkwürdige Weise an. »Ein hübsches Mädelchen, ein wirklich nettes Mäuslein …«
    Marian wurde in den Flur geschoben, und ehe sie der Alten auch nur einen guten Tag wünschen konnte, stand sie auch schon auf der engen hölzernen Treppe.
    »Wohin geht es hier?«
    »Ins Wohnzimmer, Marian. Geh nur voraus, meine Tante will noch den Tee und ein wenig Gebäck aus der Küche holen. Geh unbesorgt … Nun geh schon!«
    Sie hatte wohl kein Hausmädchen, das den Tee servieren konnte. Das war schon merkwürdig, schließlich war Strykers doch kein armer Mann. Weshalb sorgte er nicht besser für seine alte Tante? Und weshalb hatte er bisher kein einziges Mal ihren Namen erwähnt? Marian stieg die enge Stiege hinauf und fand, dass es in diesem Haus doch sehr eigenartig roch. Bohnerwachs, Kartoffeln, Kohlgemüse oder auch Bergamotte – all das hätte sie bei einer alten Tante erwartet. Nicht aber diesen faulig-süßlichen Duft nach Rosen und Hyazinthen, der irgendetwas anderes, Widerwärtiges verdeckte …
    Im oberen Stockwerk gab es einen winzigen Flur, von dem aus drei Türen in irgendwelche Räume führten. Zögernd blieb Marian stehen und wandte sich zu Strykers um, der so dicht hinter ihr ging, dass sie seinen schnaufenden Atem im Genick spüren konnte.
    »Die mittlere Tür, Marian. Und sei nicht erstaunt – meine Tante lebt in bescheidenen Verhältnissen.«
    Gehorsam drehte sie den Türknauf und starrte dann verblüfft in den engen Raum, der sich vor ihr öffnete. Das einzige Fensterchen war mit einem dunklen Samtvorhang verhängt, dafür verbreitete die Petroleumlampe auf einem kleinen Tisch mattgelbes Licht. Ansonsten gab es nur eine altmodische Spiegelkommode und ein breites Sofa aus rotem Plüsch, das man unter die Dachschräge gestellt hatte. Darauf schlief ein fetter grauer Kater, umgeben von einer Serie bunter Kissen und zwei Gliederpuppen mit blonden Zöpfen.
    »Gib mir deine Jacke, Marian, und den Hut! Vielleicht magst du auch die Stiefel ausziehen? Nein?«
    Alles war ungemein seltsam. Strykers nahm ihr eifrig wie ein Angestellter Jacke und Hut ab, zog dann selbst seinen Mantel aus und legte alles auf einen Stuhl. Marian vernahm plötzlich das helle Läuten einer Glocke in ihrem Inneren, rasch und ein wenig schrill wie ein Armesünderglöckchen.
    »Setz dich nur, Marian!«, ermutigte Strykers sie und legte sanft seinen Arm um ihre Schulter, um sie zum Sofa zu schieben.
    Das Glöckchen schrillte lauter, und

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